Beiträge zur Geschichte des Gerichtswesens in Bochum Stadt und Land in älterer Zeit.

 

Dr. Höfken.

 

  1. Das Bochumer Land- und Stoppelrecht.

 

Der Zustand der Rechtspflege in der Grafschaft Mark war bis in das 16. Jahrhundert sehr rückständig. Der Richter, der über die Bauern des Amtes Bochum zu Gericht saß, war in älterer Zeit ein Angestellter des Drosten (Landrates) und mußte seinen Weisungen nachkommen. Eine Trennung von Justiz und Verwaltung kannte man bis in das 18. Jahrhundert nicht. Dieser gräfliche Richter war der Nachfolger des alten vom Volke gewählten Richters. Da es ein Strafgesetzbuch nicht gab, hatte der Bochumer Gerichtsbezirk seine Rechtsnormen im Wege alter Gerichtssatzungen ausgebildet. Beim Eindringen des römischen Rechts im 16. Jahrhunderts sah man sich veranlaßt, diese alten Rechtssätze, die sich mündlich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt hatten, schriftlich niederzulegen. So entstand das „B o c h u m e r L a n d - u n d S t o p p e l r e c h t“, das die Grundlage und Entscheidung vor dem „Stoppelgericht“ bildete.

 

Die in ihm niedergelegten für die Sitten und Rechtsverhältnisse unserer Gegend im Mittelalter charakteristischen Rechtsgrundsätze stimmen im wesentlichen mit anderen Landrechten der Grafschaft Mark überein. So kennen wir die Bestenrechte von Schwelm, von Hagen, das Benker Heidenrecht (benannt nach einem Dorfe im Kirchspiel Flierich zwischen Lünern und Hamm) die Landfeste zu Rellinghausen im Stift Essen.

 

Alle diese Gerichte mit besonderem Gerichtsbezirk („Vest“) sind die letzten Reste der a l t s ä c h s i s c h e n G a u g e r i c h t e, in denen das Volk unter dem Vorsitze des Gaugrafen als Richter entschied. Diese Gaugrafschaft war eine Vereinigung mehrerer Burichterverbände (Ortsrichter), hatte also mit dem karolignischen Gau nichts zu tun. Mit dem Aufkommen der landesherrlichen Gewalt der Grafen von der Mark blieben diese Gerichte bestehen. Zwar entschied jetzt der gräfliche Landesrichter mit mehreren Schöffen als den Auserwählten des gesamten Volkes allein, aber es trat doch im Bochumer Landgerichtsbezirk noch einmal im Jahre – und das war für die Veste Bochum eben der Montag nach Margaretä (13. Juli) – das ganze Dingvolk zum „Vestding“ (Ding = Gericht) zusammen, um die alten Rechtsweisungen zu verlesen und vor dem Untergange zu erhalten.

 

In diesen Gogerichte versammelten sich also noch bis ins 16. Jahrhundert die Bauernschaften des Amtes Bochum und suchten unter dem Vorsitz des gräflichen Landrichters das Recht, sie „tun eine recht landtwisinghe nach landrecht“. Standgenosse des Gerichts war jeder Bauer und Kötter „mit eigenem Rauchfang“; Freie und Unfreie, auch der Adel nahmen an diesen Sitzungen teil und „wiesen“ das Recht. So entstand allmählich Rechtssätze, die von Jahr zu Jahr in Erinnerung gebracht und später schriftlich niedergelegt wurden. Der Inhalt dieser Rechtsnormen ist sehr verschieden; im allgemeinen regeln die Vestgenossen die alltäglichen Vergehen wie Flurschaden, Felddiebstahl, Totschlag, trockene und blutige Körperverletzung, Wegerecht.

 

Nach alten handschriftlichen Ueberlieferungen wurde das Bochumer Land- und Stoppelrecht von Kortum (1790) und fast gleichzeitig von dem bekannten Mönch und Archivar Nikolaus Kindlinger in seinem 48. Manuskriptenbande gesammelt und von Kortum zuerst veröffentlicht.

 

In diesem sehr alten Rechtsweistum, das eine wichtige Quelle für die Rechts- und Kulturgeschichte unserer Gegend bildet, erkennen wir noch in manchen Punkten Reste des altsächsichen Volksgerichtsverfahrens.

 

Später entschied der gräfliche Richter allein. Von ihm wurden die Geldstrafen „Brüchten“ festgesetzt. Dieses „Brüchtengeding“ bildete nunmehr die unterste Stufe strafrichterlicher Ahndung. Nach alter Gewohnheit bekam der Richter einen Teil der Geldbußen, das sogenannte Gewedde. Der Richter hatte somit auch einen Vorteil an der Strafverfolgung. Dieses B r ü c h t e n g e d i n g fand in den Jahren 1550 und 1681 eine gesetzliche Regelung in der Grafschaft Mark.

 

Wie bereits erwähnt, bildete sich schon früh gegen eine besondere Klasse von Verbrechern ein Verfahren aus, in dem man mit dem „Blutbanne“ amtliche Rüge heischte. Diese „Blutbanne“ – auch H o c h - u n d H a l s - g e r i c h t genannt – war immer dem Landesherrn und seinem Richter vorbehalten zur Sühne. Es gab hier also keinen außergerichtlichen Vergleich über den angerichteten Schaden. Hier mußte wegen der Schwere der Tat von Amts wegen eingeschritten werden; nur der Landesherr konnte das Todesurteil im Wege der Gnade mildern, „den Hals lösen“ durch Auferlegung einer Geldbuße, wie wir es noch im 14. Jahrhundert häufig aus finanziellen Gründen finden.

 

Im Strafverfahren galt der altgermanische Grundsatz: „Wo kein Kläger, da ist auch kein Richter“. Weil durch das Verbrechen in erster Linie der Verletzte getroffen wurde, nahm man von der Strafverfolgung Abstand, wo der Privatkläger nicht vorgehen wollte. Nur gegen solche Missetaten, die sich gegen den Volksverband, die Kulturgemeinschaft, das Heer, die Gerichte richteten, schritt man von Amts wegen ein. Allmählich bildeten sich die Organe der Verfolgungsbehörde aus. Der „Burichter“ der Gemeinde wurde der Polizeibeamte, der alle in seinem Bezirk geschehenen Straftaten zur Anzeige zu bringen hatte. Sie wurden dann im „ungebotenen Ding“ zur Aburteilung gebracht. Hierfür war ein bestimmter Gerichtstag von altersher festgesetzt, wo unter Leitung des Volksrichters der „Umstand“, d. h. Vertreter der Bauernschaften die einzelnen Straftaten aburteilt.

 

Außer dem regelmäßigen „ungebotenen Ding“ gab es noch ein sofort an Ort und Stelle zusammentretendes Gericht in schweren Straffällen. Auf den alten Ruf „Wapen, Wapen“ („zu den Waffen“) wurde es von dem Verletzten und seiner Sippe aufgeboten zum Spruch gegen den „auf handhafter Tat“ Betroffenen. Es war also das Gericht gegen den auf frischer Tat betroffenen und von den Volksgenossen nach dem Rufe „Wapen“ vorläufig festgenommenen Missetäter. Im Bochumer Land- und Stoppelrecht sind mehrere Straftaten angeführt, die vor dieses Gericht gehörten und mit dem Tode bestraft wurden. Wer einen Grenzstein („Boerstein“) mit Frevelmut auswirft, wer „einem anderen einen Weg legt“, also der Wegelagerer, wer dem Landesaufgebot der Wehrpflichtigen nicht folgt („wer dem Klockenschlag ohne Urlaub nicht folget“), wer einen Gefangenen befreit, wer „des gnädigen Herren Gerichte schändete oder einige Instrumente abnahm“ – alle diese Uebeltäter hatten „verbrüchtet Leib und Gut“ auf Gnade des Herren. Wir finden bei dieser Aufzählung Straftaten genannt, die heute zum Teile (z. B. die Grenzsteinverletzung) wesentlich geringer bestraft werden. Diese Ausdehnung der todeswürdigen Verbrechen findet sich überall in den Landrechten des späteren Mittelalters, wo das Strafrecht immer mehr entartete und die Grausamkeit des Strafensystems immer mehr verschärft wurde. Der Bauer ging schonungslos gegen den Mann vor, der ihm seine Aecker durch Verletzung der Grenzsteine und Ueberpflügen abspenstig machen wollte, oder sich gegen die Beamten des Landesherrn verging. Tod wurde ihm angedroht. Man mußte eben mangels eines geordneten Polizeiwesens mit den Strafen abschreckend wirken.

 

Wie lange das alte Stoppelgericht jährlich „auf Montag nach Margaretä“ auf dem Markte in Bochum von dem Amtsrichter abgehalten wurde, wissen wir nicht; noch im Jahre 1588 wird es erwähnt. (Darpe, S. 189) An seine Stelle ist später wohl das Brüchtengeding getreten. (Brüchte = Geldstrafe, Geding = Gericht.)

 

Nur die alten Abgaben des Gogerichts mußten bis in die Neuzeit an die Rentei des Landesherrn abgeliefert werden. Sie bestanden in der Lieferung von Rauchhühnern (von jedem Bauerngut mindesten 1 Huhn) und von Hundehafer.

 

Auf Michaelistag (29. September) mußten noch im 18. Jahrhundert die Bauernschaften außer Eiberg, Schalke und Hofstede insgesamt 34 ¾ Malter S e n d - o d e r H u n d e h a f e r abliefern, die kleineren Gemeinden lieferten je 1 Malter, die Freiheit Wattenscheid 2, Baubauerschaft 1 ½, Marmelshagen, Gerthe, Kley je ½, Langendreer 2, Stalleiken ½, Marten, Oespel, Lütgendortmund, Weitmar je 1 ½ Malter Hafer. In den Bauerschaften hatte der Burichter (Gemeindevorstand) diese Mengen wieder auf die einzelnen Höfe verteilt, so daß der einzelne Hof meistens nur einige Becher Hafer gab, wie die in dem Landesgrundbuch von 1686 bei jedem Hofe eingetragenen lasten erkennen lassen. Diese Abgabe und die Lieferung von Hühnern aus den einzelnen Bauernschaften stellte die Leistung an den Landesherrn als den Inhabern des alten Gogerichts dar. Hierauf deutet die Bezeichnung „Send- oder Hundehafer“ im 18. Jahrhundert hin. Dieselbe Abgabe hieß im Gericht Hagen „der Hahnenhafer“. Natürlich hat der Hafer weder mit Hunden noch Hähnen etwas zu tun, in diesem Ausdrucke verbirgt sich die alte Bezeichnung hunt = centenarius, der in ältesten Zeiten für die Pferde des Richters bestimmt war. Der Name „Hunt“ für Beamter, Frone, kommt in hiesiger Gegend in Urkunden vor, z. B. 1355 Privilegium der Stadt Wetter: „Unsere Börger mögen er Börgerrecht nehmen, als von altersher gewöhnt ist, und ihre Zyse und Herdenfohn uthpänden mit erem H u n d e.“

 

Das alte Stoppelrecht der Veste Bochum konnte sich, wie bereits angedeutet, gegenüber dem eindringendenn römischen Recht nicht behaupten. Im Zeitalter der Renaissance mit seiner Begeisterung für den antiken Klassizismus der Werke in Kunst und Wissenschaft besuchten auch die deutschen Rechtsstudenten die berühmten juristischen Universitäten in Italien (Bologna) und legten später als Richter die festgefügten Sätze des Corpus juris ihrer Rechtsprechung zugrunde. Als allenthalben im Deutschen Reiche das römische Recht seinen Einzug in die Gerichte hielt, mußte auch das Bochumer Stoppelrecht als veraltet gelten und fiel spätestens seit dem 17. Jahrhundert der Vergessenheit anheim.

 

 

  1. Die sieben Freien.

 

„Landrecht, so die sieben Freyen unserem gnädigen Fürsten und Herren jährlichs auf Montag nach Margaretä zu weisen pflegen“ – mit diesen Worten beginnt das alte Bochumer Landrecht. Welche Rolle spielten nun in diesem Gerichte die sieben Freien? Wie hießen sie, was ist aus ihnen geworden? Diese Fragen drängen sich unwillkürlich auf. Um sie zu beantworten, müssen wir kurz auf die Stellung der Freien in hiesiger Gegend eingehen. Gerade die westfälische Gerichtsforschung der letzten Jahrzehnte hat sich mit ihnen befaßt, aber ihre Rechtsverhältnisse nicht vollständig klären können.

 

Freie spielten nicht allein zur Zeit der Zusammenstellung des Bochumer Landrechts im 16. Jahrhundert, sondern früher zur Zeit der Feme eine bedeutende Rolle im Gerichtsleben, denn nur Freie durften zum F e m g e r i c h t, jenem im 13. Jahrhundert gegen die überhandnehmenden Landfriedensbrüche und die zunehmende Unsicherheit auf dem Lande vom deutschen Kaiser geschaffenen Gericht sitzen. Das Femgericht baute sich aber wieder auf dem alten F r e i g e r i c h t auf. V o r den Zeiten der Feme bildete es das Sondergericht für die Freien; vor ihm wurden alle Uebertragungen und sonstigen Rechtsakte mit den freien Gütern vollzogen. Das F r e i g u t war aber die seltene Ausnahme; fast alle Bauern vom Hellwege im alten B r u k t e r e r g a u waren mit dem Eroberung des Gaues durch die Sachsen im 7. Jahrhundert in die Untertänigkeit der s ä c h s i s c h e n Adeligen geraten und ihnen zinspflichtig geworden. Im 8. Jahrhundert begannen die Eroberungszüge der F r a n k e n unter Karl dem Großen dem es schließlich gelang, die Sachsen auch des alten Brukterergaues zu unterwerfen. Ihre Bekehrung leitete das im Jahre 802 geschaffene Kloster Werden in die Wege.

 

In diesen durch Krieg und Eroberung unruhevollen Zeiten war es nur wenigen Großgrundbesitzern gelungen, ihre Freiheit zu wahren. Sie bildeten später den niederen Adel. Andere Freie zogen es vor, sich unter den Schutz der Klöster zu stellen, wieder andere sanken in den Stand der Hörigen herab oder nahmen als Dienstleute (Ministerialen) Stellung bei den immer mächtiger werdenden, nach der Landesfreiheit strebenden Grundherren. Diese U m b i l d u n g erkennen wir in den alten Heberegistern der Abtei Werden, wo im 10. Jahrhundert noch ein Drittel der Klosterbauern als Freie bezeichnet werden; ein Jahrhundert später finden wir sie schon nicht mehr als solche genannt. Sie sind jetzt im niederen Adel aufgegangen. Aber ein kleines Häuflein bäuerlicher Freier läßt sich auch noch später nachweisen. Unter ihnen bildeten den Hauptbestandteil die N a c h k o m - m e n der f r ä n k i s c h e n K o l o n i s t e n, die nach der Eroberung des Landes mit Staatsgut ausgestattet worden waren und sich auf den Besitzungen der vertriebenen Sachsen niedergelassen hatten.

 

Sie hatte sich einzeln oder auch in kleinen Hofesgemeinden angesiedelt. Charakteristisch für sie ist, daß sich ihre Abstammung von den Franken wie ihre Stellung im Lande in ihren Namen erhalten hat. Die Namen „F r i e , F r i e m a n n , F r i e d l i n g s , F r a n k , F r e n k i n g“ deuten auf ihre Herkunft hin. Sippensiedlungen von ihnen unter dem Namen „Frielinghausen“ finden sich zahlreich am Hellweg und im Sauerlande, so z. B. Frielinghausen bei Querenburg, bei Kamen, bei Gevelsberg, bei Plettenberg, bei Herzkamß, bei Essen („Frillendorf“). Der Name Frenking kommt noch 1664 bei sieben Bauernhöfen im alten Amte Bochum vor. Frenkings werden auch in anderen Gegenden früh in den Urkunden genannt, so z. B. Frenking des Klosters Metelen 1278, Arnold von Frenking, Freischöffe in Brakel bei Dortmund 1295/1303. Alle diese Freigüter verschwinden in unserer Gegend im 16. Jahrhundert, sie geraten in die Hände des Adels. Zäher als am Hellwege hielt sich die alte Freiheit in den rauhen Gebirgsgegenden des Sauerlandes. In den Aemtern Altena, Lüdenscheid, Plettenberg und Neuenrade finden wie bis in die Neuzeit freie Bauern in großer Anzahl, die auf den Amtstagen die Angelegenheiten des Amtes regelten und bis in das letzte Jahrhundert den Titel „Freischöffen“ führen durften.

 

Das Freigut war also sehr unregelmäßig im Lande verteilt. Frei waren ihre Besitzer insofern, als sie keine Dienste wirtschaftlicher Art für den König, den Go- und Freigrafen auszuführen hatten; ihr Grundbesitz war aber gebunden an die Verpflichtung zum Gerichtsdienst, „zur Folge“ (Kriegsdienst) und an die Genehmigung zur Veräußerung des Hofes. Z w e i A r t e n v o n F r e i e n g a b e s : s c h ö f f e n b a r e u n d e i n - f a c h e F r e i e n. Beiden gemeinsam ist die Verpflichtung zu gewissen A b g a b e n von ihrem Freigut an den Freigrafen. So gaben die Freien der Freigrafschaft Dalbochum an der Lippe von jedem Gute: 1 Schwein, die in einem Huhn und fünf Eiern bestehende „Gamerschuld“ und den „Königsdienst“, bestehend aus einigen Denaren. Im Jahre 1177 gab ein Freigut von Rüthen jährlich 1 Malter Hafer, 1 Huhn, 3 Eier, 1 Denar an den Freigrafen.

 

Aehnliche Abgaben werden wohl auch die Freien in der Freigrafschaft Bochum ihren Freigrafen geleistet haben. (Ueber die Abgaben der sieben Freien wird unten noch die Rede sein). Im Gericht Hagen gaben die Freien noch 1736 an die Rentei Wetter 5 Malter 2 Sch. 2 Viertel Hafer und 28 Schillinge 7 Den. gravis an Herbst- und Maibnden. Im Amte Lüdenscheid, wo sich auf den abgelegenen Höhen zwischen Verse und Lenne ein alter Stamm der Feien erhielt, die bis in das letzte Jahrhundert als Freibankbauern neben dem Adel die Geschicke des Amtes auf den „Erbentagen“ leiteten, gab jeder Freibauer im 17. Jahrhundert jährlich 1. Freigelder (z. B. 7 Schilling), 2. an Hundelagergeld 5 schwere Schilling = 37 ½ Stüber, 3. ein oder mehrere Hühner, 4. ein Schwein (letzeres nicht alljährlich, sondern innerhalb einer Reihe von Jahren).

 

Für alle Freien war seit den Karolingern das F r e i g e r i c h t bei Uebertragungen und Streitigkeiten über „Freigut“ und „Eigen“ zuständig. Die Freigerichte urteilten aber auch seit Karl dem Großen (capitulare Saxonicum 797) über schwere Verbrechen, die auf Königstraßen und Königsland begangen waren, unter K ö n i g b a n n, also mit schwereren Geldbußen als das Gogericht. Im Laufe der Jahrhunderte trat aber mit der Zunahme der Bedeutung der letzteren Gerichte die strafrechtliche Seite der Freigerichte zurück.

 

Das Bochumer Freigericht erscheint in den Urkunden bis zum 14. Jahrhundert lediglich als U r k u n d e n - g e r i c h t für Uebertragung von Eigen. Dann nahm für längere Zeit wieder die S t r a f g e r i c h t s b a r - k e i t zu. Als Freie waren jetzt die freien Bauern, die adeligen freien Herren und die vollberechtigten Stadtbürger Mitglieder der Freigerichte. Diese spielten eine Zeitlang eine politische Rolle, als Kaiser Karl IV. (1347 bis 1378) und der Erzbischof von Köln diese Freigerichte zur Mitwirkung an den Landfriedens-vereinigungen heranzogen. Als königliche Gerichte dehnten sie nunmehr ihre Zuständigkeit auf alle Freien im ganzen Deutschen Reich aus, waren als F e m g e r i c h t e über nur todeswürdige Verbrechen in Zeiten der Rechtsunsicherheit im Interesse des Landfriedens tätig, bis ihre Macht infolge zahlreicher Uebergriffe dank der energischen Bekämpfung seitens der Städte und Landesherren schon vor Ablauf des 15. Jahrhunderts zu Fall gebracht wurde.

 

An der Spitze der Freien stand als Vertreter des Königs seit dem Jahre 1180 der Erzbischof von Köln. Er verlieh die Aufsicht über die Freien unseres Bezirks, der „F r e i g r a f s c h a f t B o c h u m“, weiter an den Grafen von Altena-Isenburg, bis sie 1243 der Graf von der Mark erhielt. Der Freigraf versammelte seine Freien an bestimmten Dingstätten zum Gericht, diese hießen „F r e i s t ü h l e“; sie standen auf dem „Hellwege“, der „Königstraße“ (z. B. vor der Ruhrbrücke in Hattingen), unter der Femlinde (in Dortmund), auf dem Freihof (vor dem Bongardstor in Bochum), unter dem Nußbaum (in Wattenscheid), unter der Weide, auf der Landwehr oder an einem sonst geeigneten öffentlichen Platze.

 

Richtete der Graf von der Mark nicht selbst, so ließ er sich durch einen Adeligen oder Freibauern, der dann auch den Titel „Freigraf“ führte, vertreten. Später war diese Vertretung die Regel.

 

Ueber den Umfang der Freigrafschaften, die Anzahl der Freistühle sind wir im allgemeinen gut durch die Urkunden unterrichtet. Weniger wissen wir über die Z a h l d e r F r e i e n, die zu einer Freigrafschaft gehörten; sie wird nicht groß gewesen sein, weil die Anzahl der Freien ja überhaupt sehr beschränkt war. In der Freigrafschaft Dahbochum an der Lippe bei Hamm (Freie Grafschaft oppen Dreine gen. die „Krumme Grafschaft von Volmarstein“) waren um 1400 nur 29 Freie vorhanden, aber 16 Freistühle, fast in jedem Dorfe einer. Von diesen Freigütern mußten einige ständig die Schöffen zum Freigericht stellen. Nach Aufhebung der Femgerichte sank dieses Freigrafschaftgericht zu einem Feldpolizeigericht über die Bauern der Ortschaft herab. Es wechselten also seine Zuständigkeit von der persönlichen (über Freie) zur sachlichen (über geringfügige Delikte).

 

Die Protokolle der Gerichtssitzungen dieses Freigerichts aus dem 16. Jahrhundert zeigen, daß es dem Stuhlherrn nur noch auf die Abgaben ankam, wie eine Notiz im Jahre 1586 erkennen läßt: „Die Dorfburen wissen nicht wrogtbares, haben ihren Gehorsam erlegt.“ (wrogtbar = rügbar).

 

In ähnlicher Weise wird auch die Freigrafschaft Bochum ihre geschichtliche Entwicklung genommen haben.

 

Die erste Erwähnung des fränkischen Grafengerichts (placitum) der G r a f s c h a f t B o c h u m findet sich in Werdener Urkunden. Im Jahre 1092 verschenkt der Freie Alfrik sein Freigut in Langenbochum (Kreis Recklinghausen) dem Kloster vor dem Gericht des G r a f e n M e i n r i c h i n B u o k h e i m. Auch in den folgenden Jahrhunderten ist das Gericht auf dem Freihofe „ in den Bungarden“ am Bongardstor für Auflassungen von Freigut tätig, ebenso an den anderen Freistühlen des Bezirks.

 

Neben dem Richter (Freigrafen) nahmen als die eigentlichen Urteilsfinder 7 Schöffen an der Verhandlung teil; sie wurden auch zu der gerichtlichen Beurkundung (freiwilligen Gerichtsbarkeit) über Freigut herangezogen. Bei dem konservativen Sinn unserer Altvorderen pflegte der Graf stets aus ganz bestimmten Familien die Schöffen zu wählen, bis schließlich das Freischöffenamt in diesen erblich wurde und an dem Hof als Hofeslast haften blieb.

 

Diese s i e b e n F r e i s c h ö f f e n waren also Besitzer von Freigütern der Freigrafschaft; auf ihren Höfen ruhten die Gerichtsabgaben, die an den Inhaber der Freigrafschaft, den Grafen von der Mark zu entrichten waren. Bisher kannte man die Namen dieser „sieben Freien“, die jahrhundertelang eine solche bedeutende Rolle im Gerichtsleben des alten Amtes Bochum gespielt hatten, nicht. Wohl ging aus den Urkunden hervor, daß als Freischöffen neben dem niederen Adel im Jahre 1359 Konrad van Vrylinchusen (Freigraf), Evert van Aldenboychem, Diderich van Overbergh erstmalig als „vryescepen“ 1387 Heneken van Gunnencvelde und der Frone Konrad Küteken, 1389 Hannus Vrymann van Aldenboychem, Hinrich Vrymann Overbergh, Hannus van Vrylinchusen, 1403 Toine van Vrylinghusen, 1408 Goddert Blomenouwe Freifrone, 1411 Cord Vriemann van Werne, 1420 Diderich Vryman van Gonnetvelde (Günnigfeld), 1445 Derich van Gunninkfelde zu Gerichte saßen, aber es war bisher bei dem Wechsel in der Namensbezeichnung und dem zur damaligen Zeit noch bestehenden Mangel an festen Bezeichnungen für die Bauernhöfe nicht möglich, die Freischöffengüter zu bestimmen. Nach langem Forschen ist es mir endlich gelungen, die „sieben Freien“ in den Renteilisten der Rentei Bochum aus dem 18. Jahrhundert verzeichnet zu finden. Sie hießen jetzt die „k u r f ü r s t l i c h e n F r e i e n“, die mit ihren in Geld umgewandelten Freigerichtsabgaben dem Landesherrn noch zinsen mußten zu einer Zeit, als das Freigericht, ihr alter Gerichtssitz, kaum dem Namen nach noch bekannt war.

 

Bei der Verteilung dieser Freien auf die Bauernschaften fällt auf, daß drei in Frielinghausen, zwei in Werne wohnten. Beide Ortschaften sind offenbar Sippensiedelungen von Franken, denn Frielinghausen bestand nur aus den reien Höfen Frielinghausen, Thöne und Schulte Overberg; in Werne mit 15 alten Bauernsitzen waren außer den genannten beiden Freihöfen noch zwei weitere Ende des 9. Jahrhunderts von Freien bewohnt, wie wir aus dem ältesten Heberegister der Abtei Werden entnehmen können. (Kötzschke I S. 69. In Werinne zinsten der l i b e r homo Wieringer und der l i b e r Brunge von zwei Höfen der Abtei.) Der Name des Hofes „Frenking“ deutet ferner auf einen weiteren Freihof. (Der Frenkinghof wird in Urkunden erstmalig 1257 erwähnt „domus dicta Vrenkync prope villam que dicitur Ummync.“ Westf. Urkundenbuch VII. Nr. 975, der Hof gehörte später dem Hause Laer, hatte also seine Freiguteigenschaft verloren.)

 

Von den genannten Freischöffen ist später nicht mehr unter diesen „kurfürstlichen Freien“ angeführt der „Friemann von Günnigfeld“; wahrscheinlich ist mit diesem Namen der Besitzer des Brecklinghaus Hofes gemeint, weil dieser im Jahre 1664 (Kaminsteuerliste) der einzige Hof in Günnigfeld ist, der als „Erbe“ im Eigentum seines Besitzers stand.

 

D i e 7 k u r f ü r s t l i c h e n F r e i e n waren:

 

  1. Johann zu Kley,

  2. Baak zu Werne,

  3. Hölterhoff zu Werne,

  4. Frieman zu Altenbochum,

  5. Thöne zu Frielinghausen,

  6. Johann zu Frielinghausen,

  7. Schulte Querberg zu Querenburg.

 

Vor diesen Freien als den angesehensten Männern des Volkes vollzog sich zur Zeit der Feme das F e m - g e r i c h t , in welchem neben ihnen der Freigraf Statt und Stuhl eines freien Gerichts als Richter einnahm und „van des hilgen Rikes wegen ein vrigerichte hegede“. D i e A b u r t e i l u n g d e r s c h w e r e n V e r - b r e c h e n (Nord, Nordbrennerei, Landesverrat, Notzucht, Raub auf der öffentlichen Straße, Münzfälscherei, Meineid, Kirchendiebstahl und die schweren Fälle des Diebstahls) wurden hier vorgenommen. Auf der „Königsbank“ lag das entblößte Schwert und ein Strick, den Gerichtshof bildeten diese sieben Freischöffen, der „Frone“ sorgte für äußere Ordnung. Wer von sieben ehrbaren Händen verurteilt war, der wurde sofort an den nächsten Baum geknüpft, denn die Feme kannte nur die Todesstrafe.

 

Neben dieser strafrechtlichen Seite war das Bochumer Freigericht auch jetzt noch zur Beurkundung über Freigut zuständig. In diesen Urkunden kehren die Namen der oben genannten Freien ständig wieder. Da in den Strafprozessen keine Protokolle überliefert sind, so kennen wir die Tätigkeit des Bochumer Freigerichts nur aus diesen Urkunden der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

 

Zu den Zeiten der Feme wird auch das Bochumer Femegericht eine einträgliche Quelle für seinen Inhaber gewesen sein. Jeder neu aufzunehmende Freischöffe, deren Zahl um 1450 im ganzen Deutschen Reiche auf ein gutes Hunderttausend geschätzt wird, mußte eine Aufnahmegebühr geben. Die Haupteinkünfte bildeten aber die fällig werdenden Gerichtskosten und Geldstrafen, wozu noch bei Verhängung der Acht die auf dem Fuße folgende Pfändung und Einziehung des gesamten Hab und Gutes kam. Die Gerichtsbuße war sehr hoch, mußten doch z. B. der Angeklagte, der nicht zum Termin erschien, eine Buße von 66 Goldgulden zahlen.

 

Seine Blütezeit erlebte das Bochumer Freigericht unter dem Freigrafen W e n n e m a r P a s k e n d a l (432-59). Er lehnte sich gegen die Reform der Femegerichtsordnung unter dem Kaiser Friedrich III. trotzig auf: das Recht, welches Karl der Große der Feme gegeben, könne kein deutscher Kaiser ihr nehmen. Dieses großspurige Auftreten mußte er mit seiner Absetzung büßen.

 

Die letzte Freigerichtsverhandlung ist aus dem Jahre 1493 urkundlich überliefert. Nach dieser Zeit verschwand das Freigericht, weil durch die Erstarkung der Landesgewalt des Grafen von der Mark und den Verruf der Femgerichte keine Notwendigkeit für seine weitere Tätigkeit bestand. Jetzt war der gräfliche Landrichter der a l l e i n i g e R i c h t e r i m A m t e. Er übernahm die sieben Freien, ließ das alte Bochumer Land- und Stoppelrecht durch sie weisen – vergl. den Aufsatz unter 1. – und zog sie als Geschworene bei der Aburteilung der schwersten „an Hals und Hand“ gehenden Verbrechen hinzu. Im Laufe der Zeit wurde aber ihre Teilnahme an der Urteilsfindung immer mehr zurückgedrängt. Im 17. Jahrhundert hatten sie das Recht, bei dem Halsgericht der Urteilsvollstreckung zu widersprechen, wenn das Urteil nicht der Billigkeit gemäß erschien. Nach dem B e r i c h t über die Untersuchung des Justizwesens in Stadt und Land Bochum aus dem J a h r e 1 7 1 4 – vergl. unten zu 4 – war zur damaligen Zeit ihr Einfluß allmählich soweit zurückgedrängt, daß ihnen auf der Richtstätte nur vom Gerichtsschreiber das Urteil vorgelesen und ihre Ansicht darüber gehört, das Urteil aber trotzdem vollstreckt wurde.

 

Nach der Neuverordnung des Strafgerichtswesens durch die märkische Kriminalordnung von 1721 werden die sieben Freien nicht mehr tätig geworden sein. Aber immer noch wurden die Abgaben an den Landesherrn von ihnen aus ihren Freigütern weitergeleistet.

 

Von den sieben kurfürstlichen Freien kamen im 18. Jahrhundert folgende Beträge an H e r b s t b e d e n und H u n d e l a g e r auf: Johann zu Kley 2 Rtlr. 15 St., Baak zu Werne 1 Rtlr. 15 St., Hölterhoff zu Werne dasselbe, Frieman zu Altenbochum 8 Rthlr. 45 St. und 3 Hühner, Thöne zu Frielinghausen 1 Rtlr. 52 St. 6 Pfg., Johann zu Frielinghaus 2 Rtlr. 45 St., 6 Hühner, Schulte Overberg 1 Rtlr. 52 St. 6 Pfg. Es handelte sich hier um die alten in Geld abgelösten Abgaben der sieben schöffenbaren Freien für ihre Zugehörigkeit zum Freigericht und zur Freigrafschaft. Leider ließ sich nicht feststellen, worin die Abgaben in älterer Zeit bestanden; nur ein Vermerk des Landesgrundbuch von 1686 beim Schulte Overberg Hofe: „muß dem Rentmeister 1 ½ Goldgulden geben, noch ½ Goldgulden Hundelagergeld“ weist auf die Herkunft der alten Abgaben hin. Die Abgaben bestanden also in Z i n s für die Zugehörigkeit zum F r e i g e r i c h t und in der Ablösung des alten H u n d e l a g e r s, das die Freien nach einem alten um das Jahr 1400 verfaßten Verzeichnisse dem Landesherrn auf seinen Jagden und Reisen gewähren mußten.

 

Von beiden Abgaben ist bezeichnend für die Freien nur die erste im Herbst zu leistende (deshalb „Herbstbede“), die wohl die Ablösung der alten oben genannten Leistungen eines jeden Freigutes (Königszins oder Freigeld, 1 Huhn, 1 Schwein) darstellt. Die andere Abgabe, das Hundelagergeld ist nicht zu verwechseln mit dem Hundehafer (in Altena auch Herren- und Gravenhafer genannt), den wir oben als Zins für den G o r i c h t e r kennen gelernt haben.

 

Das H u n d e l a g e r, das die Freien dem Landesherrn seit alten Zeiten stellen mußten, ist der letzte Rest der fränkischen Beherbergungspflicht. In dem erwähnten alten Verzeichnisse aus dem Jahre 1400, das mit den Worten „haec sunt hospicia domini comitis de Marka, in quibus solebat prandere“ beginnt, werden die Freien, wie folgt genannt: „item myt dem vreymann to Aldenbochem, item myt dem vrymanne over der reke (Schulte Overberg), item dat gut do Vrylinchusen by de hevene, item myns herrn vrygud to Werne“. Außer diesen Freien mußten ferner noch andere große Höfe, über die der Graf von der Mark Vogtrechte besaß, die Jagdhunde und deren Begleitung bei seinen Jagden aufnehmen. Diese Höfe waren die Sattelgüter Dahlhausen an der Ruhr, Krawinkel (Schulte Krawinkel hinter dem Kosthaus Stahlhausen) und Marten bei Dortmund, – diese Höfe waren alter Besitz des Klosters Werden, dessen Vogt der Graf war, – der Hof zu Isenfink (Schulte Ising) in Leithe und das Sattelgut Huckarde bei Dortmund, das dem Stift Essen gehörten, über das der Graf ebenfalls Vogt war. Auf diesen freien und Sattelgütern seines Landes durfte er eine genau vorgeschriebene Zahl von Reitknechten mit Pferden und Jagdhunden beherbergen: so konnte er auf dem großen kölnischen Hofe in Hagen zwei rydder (Reitknechte), zwei haveken (Habichte, die zur Beize auf Hasen, Federwild abgerichtet waren) myt zwei wynden (Jagdhunden) und myt 23 perden zweimal im Jahre (by grafe und by stroh) zur Frühjahrs- und Herbstjagd einlagern. Das Hundelagergeld ist also keine dem Freigut allein anhaftende und dieses kennzeichnende Abgabe.

 

Auch noch an einer anderen Stelle begegnen uns die sieben Freien in den Urkunden. In einem Verzeichnisse der Lehnsgüter im Amte Bochum aus dem Jahre 1552 (St. A. Düsseldorf, Klevische Lehen Nr. 9) werden als solche Sattelgüter „dar man myt perden van dient“, die also dem Landesherrn mit Pferd und Harnisch dienen mußten, nach der Aufzählung der Rittergüter zum Schlusse „de seven Frien“, die sieben Freien genannt. Dem Adel gleich mußten sie durch diesen Ritterdienst dem Landesherrn in Kriegszeiten dienen. Wir sehen also, daß sie von jeher eine ganz hervorragende Rolle im öffentlichen Leben spielten. Wann sich die Bezeichnung „die sieben Freien“ gebildet hat, ließ sich nicht feststellen. Um das Jahr 1400 finden wir erst vier Freien in dem alten Hundelagerverzeichnisse, später sind die Höfe Frielinghausen (Abspliß der Thöne-Hof) und Werne (Abspliß der Hölterhof) geteilt worden. Der siebente Freie Johann van Kley wird in den alten Freigerichtsurkunden nicht genannt. Seine Benennung rührt also erst aus dem 15. Jahrhundert her.

 

Mit dem alten Freigericht in Verbindung zu bringen sind Abgaben, welche mehrere Bauernschaften mit ganz geringen Geldbeiträgen, den sog. „Freidingsgeldern“ zu zahlen hatten. Welche Veranlassung diese Leistungen hatten, ist nicht mehr festzustellen. Sie betrugen im 18. Jahrhundert von den Bauernschaften: Lütgendortmund 11 Stüber 3 Pfennig, Westrich 10 St. 6 Pfg., Kirchlinde 3 St. 9 Pfeg., Marten 7 St. 6 Pfg., Kley 4 St. 9 Pfg., Altenbochum 11 St. 6 Pfg., Gelsenkirchen 22 St. 6 Pfg., Eiberg 12 St., Hofstede 7 St. 6 Pfg., Weitmar 12 St. 6 Pfg., Hamme, Höntrop, Riemke je 12 St., insgesamt kamen 4 Rtlr. 3 St. 6 Pfg. Freigedingsgelder auf. Keine Gelder sind für die Ortschaften der Gerichte Castrop, Stünkede, Eickel und Grimberg verzeichnet, weil hier der adelige Gerichtsherr die Freidinggelder einzog.

 

Während die Freigüter der sieben Freien in älterer Zeit freie und nur durch die geringfügigen Abgaben an den Landesherrn als Freigrafen belastete Besitzungen waren, finden wir sie im 17. Jahrhundert im Eigentum des Adels und des Stadtpatriziats, von denen ihre Besitzer sie in Erbpacht hatten. Nach der Kaminsteuerliste vom Jahre 1664 sind nur die Höfe Johann zu Kley und Hölterhoff noch Erbgut. Der Hof Friemann gehörte der Familie Wiskott in Dortmund, Baak einem Johann Trapmann, Thöne dem Amtsschreiber in Wetter, Frielinghaus dem Freiherrn von Drimborn auf Haus Baldeney, Schulte Overberg dem Herrn von Elverfeldt auf Haus Herbede.

 

Auf welche Gründe dieser Eigentumswechsel zurückzuführen ist, bedarf für jedes Gut eingehender Untersuchung. Bei Frielinghaus und Schulte Overberg war Verschuldung die Ursache ihres Niedergangs. Bei den anderen Gütern fehlt bisher der urkundliche Nachweis; jedenfalls muß es den alten Freibauern sehr schwer gefallen sein, ihr altes Frei- und Erbgut in die Hände des Adels und der reichen Stadtleute zu geben und es als Pachtgut wieder zu erhalten. Große Abgaben waren nunmehr zu leisten, so gab Friemann 1686 20 Malter Korn, 3 Hühner, 10 Pfund Flachs, 2 Schuldschweine seinem Hofesherrn. Aehnlich hohe Lasten verzeichnet das Landesgrundbuch bei den anderen genannten Gütern. So fanden diese uralten, ehemals dem Adel gleichgestellten Freigüter ein Ende.

 

 

  1. Der Scharfrichter.

 

Das alte Gerichtsverfahren im Bochumer Landbezirk kannte bis zum 16. Jahrhundert keine besondere Person für die Vollstreckung der Todesurteile. Diese wurden in alten Zeiten vom Volksgericht (Gogericht) erkannt und vom Volke vollstreckt, später hatte der Gerichtsfrone diese Befugnis. Mit der „p e i n l i c h e n H a l s g e r i c h t s -o r d n u n g“ Kaiser Karls V. aus dem J a h r e 1 5 3 2 wurde das Amt des Scharfrichters oder Nachrichters eingeführt. Letztere Bezeichnung trug er deshalb, weil ursprünglich einer der Richter, der Nach-Richter, der zu diesem Zwecke noch nach dem Urteil tätig war, die Strafe vollzog. Schon im 13. Jahrhundert gab es berufsmäßige Henker, aber sie waren auf die größeren Städte beschränkt. Mit dem Berufsrichtertum kam der Berufsscharfrichter auf; so finden wir ihn schon in der ältesten Bochumer Urkunde vom 8. September 1297, in denen Everhard Graf von der Mark den Bürgern Bochums Hausstätten in Erbpacht gibt. Unter diesen wird auch das Haus des carnifex (Henkers) Albert erwähnt, das 3 ½ Pfund Wachs und ebensoviel Hühner an Pacht gebe. Das Haus lag an der Gerberstraße, und diesen Wohnsitz haben alle Bochumer Scharfrichter beibehalten.

 

Mit dem Emporkommen der Städte machte sich ein größerer Schutz für die Bürger, deren schwere Wagenzüge die Landstraße durchfuhren, notwendig. Nur eine Rechtsprechung, die unerbittlich hart und eisern war, konnte das Gesindel auf dem Lande in Furcht abhalten und abschrecken. Diesen Zweck hatten alle Strafen des Mittelalters.

 

Die Missetaten wurden im Mittelalter eingeteilt in U n g e r i c h t e, die an „Hals und Haar“ oder nur mit Buße zu bestrafenden Frevel. Aus diesen waren die Uebertretungen ausgeschieden, die im B r ü c h t e n g e d i n g, das unter Ziffer 2 bereits erwähnt wurde, abgeurteilt wurden. Die schwersten Verbrechen (Ungerichte) unterlagen der Todesstrafe, deren Arten zahlreich waren. Jedes Verbrechen hatte seine eigene Strafe. Den Dieb peitschte man aus, beim zweiten Diebstahle schnitt man ihm die Ohren ab, beim dritten Male drohte ihm der Galgen. Für Diebe und Verleumder diente der P r a n g e r, der auf dem alten Markte stand und nach den Berichten des alten Bürgerbuches im 17. Jahrhundert häufig in Benutzung genommen wurde. (Darpe, S. 304, 305.) „1627, 9. May ist ein Knecht an dem Pranger justifiziert und durch die Dieners aus den Friedepfählen (Grenze der Stadt) geleitet,“ so lautet die wiederkehrende Notiz über den Strafvollzug. Meineidigen wurde die Zunge ausgerissen, auf den Mörder wartete das R a d. Dem auf dem Boden liegenden Verbrecher wurde durch das Rad der Brustkasten zerdrückt und dann der Leichnam auf das Red geflochten und dieses aufgestellt. Erst Friedrich Wilhelm I. milderte diese grausame Hinrichtungsart dadurch, daß der arme Sünder durch einen scharfrichterlichen Kunstgriff erwürgt wurde, bevor er auf das Rad geflochten wurde.

 

Der F e u e r t o d war für Ketzer, Hexen, Zauberer. E r t r ä n k t im Sack wurden die Kindesmörderinnen; erst Friedrich der Große schaffte dieses Säcken durch Kabinettsordre vom 31. Juli 1740 ab und ordnete die Hinrichtung mit dem Schwerte an. Die grauenhafteste Strafe war die Vierteilung für Hochverräter. Alle diese „qualifizierten Todesstrafen“ traten mit Beginn des 17. Jahrhunderts zurück, nur Schwert und Strick bleiben als häufige Hinrichtungsmittel.

 

Noch das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 kannte als T o d e s a r t e n die Hinrichtung mit dem Rad, Feuer, Strang, Schwert, an dessen Stelle seit 1811 das Beil trat. Sämtliche Todesarten konnten noch durch Schleifen des Verbrechers auf einer Kuhhaut zum Richtplatz geschärft werden, auch diese Schärfung wurde erst 1811 aufgehoben. Dazu kamen noch Verstümmelungsstrafen (Abhauen der Hand, der Ohren, einiger Finger.) Die Strafen an „Haut und Haar“ bestanden in Staupenschlag (Besenstreiche auf den entblößten Rücken), Züchtigung, Brandmarken usw. Dazu traten noch als beschimpfende Strafen z. B. das Prangerstehen, Eselsreiten, Schwemmen, Steintragen.

 

Seit dem Dreißigjährigen Kriege bildeten eine äußerst lästige Plage in unserer Gegend die umherstreifenden Räuber, Deserteure und Zigeuner. Mangels einer Polizei konnte man ihnen schlecht beikommen, hier konnten nur exemplarische Strafen abschreckend wirken; infolgedessen hatte auch der Scharfrichter in diesen unruhigen Zeiten viel zu tun. „Da dieses Gesindel durch Landesverweisung und Auspeitschung nicht mehr zu vertreiben ist, sollen bei ihrer Ertappung, es mögen ihrer viele oder wenige zusammengerottet sein, ohne Rücksicht auf das Geschlecht alle über 16 Jahre alten Individuen zum Tode durch den Strang verurteilt werden, wenn sich nach der summarischen Untersuchung ergibt, daß sie Diebe oder Zigeuner sind.“ Am Bückingskotten bei Steele befand sich ein solcher „Zigeunergalgen“. Dieses Edikt König Friedrichs I. aus dem Jahre 1710 wurde unter Friedrich Wilhelm I. (1724) wiederholt, schließlich ging man dazu über, von Zeit zu Zeit eine allgemeine Razzia unter Beteiligung der Bürgerschaft im Lande abzuhalten.

 

Diese Aufzählung der körperlichen Strafen, die sämtlich dem Scharfrichter zur Vollstreckung überlassen blieben, zeit, daß er früher ein vielbeschäftigter Mann war. Die Hinrichtung selbst übernahm er nur bei der Todesstrafe durch das Schwert, das Aufhängen überließ er den Henkersknechten. Die Peinliche Halsgerichtsordnung schrieb genau das Verfahren vor. „So der Richter nach dem Endurteil seinen Stab gebrochen hat, desgleichen so der Scharfrichter den Armen auf die Richtstatt bringt, soll der Richter öffentlich ausrufen und gebieten, dem Scharfrichter keinerlei Verhinderung zu tun, auch, ob es ihm mißlinge, nicht Hand an ihn legen.“ Das ganze Volk begleitete den armen Sünder zur Richtstätte; es war ein richtiges Volksfest der „guten alten Zeit“, zu dem man die Schuljugend heranzog, wie noch aus dem Jahre 1776 berichtet wird, wo auf dem Galgenfeld in Stiepel ein Mörder durch den Bochumer Scharfrichter hingerichtet wurde und auf Befehl des Gerichtsherrn von Syberg auf Haus Kemnade die ganze Einwohnerschaft samt der Schuljugend zuschauen mußte.

 

Im allgemeinen schloß sich die Hinrichtung schnell an das Todesurteil an; erst im 18. Jahrhundert ließ sie oft lange Zeit auf sich warten, weil die Bestätigung des Urteils durch den König abgewartet werden mußte. Auch andere Gründe konnten sie verzögern. So verlangte im Jahre 1807 in Hohenlimburg als der letzte Mörder aufs Rad geflochten werden sollte, der Pastor die Aufschiebung der Hinrichtung auf mindestens drei Monate, „weil der Delinquent in Schul- und Religionsunterricht dermaßen zurück sei, daß ihm erst bessere und richtigere Erkenntnis zur Bekehrung beigebracht werden müßte.“ Das Richterkollegium bezweifelte aber die Zweckmäßigkeit dieser christlichen Unterweisung und verlangte die Beschleunigung der Hinrichtung, weil immer größer die Kosten für die Verpflegung des armen Sünders würden und immer höher – der Flurschaden würde, den der Pöpel an der Richtstätte an der heranwachsenden Saat anrichtete. (Esser, Hohenlimburg.)

 

Vor dem eigentlichen Hinrichtungsakt trat der Scharfrichter vor den armen Sünder und bat ihn um Verzeihung für das Leid, das er ihm im Namen der Gerechtigkeit zufügen müsse. Dann zog er ihm die Mütze übers Gesicht, trat zur Seite und gab ihm mit dem mächtigen „Zweihänder“ den Todesstreich. Wehe, wenn dieser mißlang, und die wütende Menge den Scharfrichter zu lynchen drohte, hatte er doch beim Amtsantritt eidlich geloben müssen, „kunstfertig zu richten“. Solche Lynchjustiz des Volkes wird mehrfach berichtet, weshalb man später Soldaten als Schutzgeleite dem Nachrichter mitgab. Gelobt aber wurde er, wenn er redlich und schnell richtete. Gute Leistungen machten einen tiefen Eindruck auf das gaffende Volk und mehrten den Ruhm des tüchtigen Scharfrichters.

 

Mit dieser Tätigkeit vor den Augen der Menge war seine Arbeit noch lange nicht erschöpft. Er hatte mit seinen Knechten die F o l t e r u n g der Angeklagten vorzunehmen. Die gute alte Zeit verlangte ein Geständnis des Täters, um Justizmord zu verhüten. Weigerte aber der Angeklagte ein solches , so wurde von dem römisch-rechtlich vorgebildeten Richter getreu nach den Regeln des alten kirchlichen Inqussitionsprozesses „die peinliche Frage“ verfügt wie sie in der Holzgerichtsordnung von 1532 gesetzlich vorgesehen war. Es war unglaublich, was grausiges Roheit an Qualen in der Folterkammer erfunden hat, um ein „Geständnis“ zu erpressen. Aber wir wollen über Einzelheiten aus dieser schmählichen Zeit der deutschen Rechtsgeschichte hinweggehen. Erst im 18. Jahrhundert ging man menschlicher mit dem Verdächtigtem um.

 

In der kleve-märkischen Kriminalordnung von 1721 wurden schon die weitgehendsten Vorsichtsmaßregeln bei Anwendung der Tortür angewendet, um jede körperliche Schädigung zu vermeiden. (Höchstens eine Stunde Dauer der Tortur in Gegenwart des Gerichts, das sämtliche Vorgänge, Fragen und Antworten des Delinquenten genau zu protokollieren hatte; persönliche Ueberwachung der Tortur durch den Scharfrichter.) Erst Friedrich der Große schaffte diese Marter am dritten Tage seines Regierungsantritts ab.

 

Die heute am häufigsten vorkommende Gefängnisstrafe war früher wenig bekannt. Sie wurde erst später eingeführt und in der Grafschaft Mark als Festungshaft auf der Festung Wesel zur Verbüßung gebracht. Eigentliche Strafgefängnisse gab es bis zum 18. Jahrhundert in der Grafschaft Mark nicht, es fehlten auch die sogenannten Arbeits- und Spinnhäuser, die in anderen Provinzen Preußens unter Friedrich II. angelegt wurden.

 

Die Strafen fielen im allgemeinen früher bei der damaligen Sittenroheit bedeutend härter aus. Noch 1723 wurden durch ein klevisches Edikt die schwereren Fälle der Wilddieberei mit dem Galgen, die einfacheren mit harter Leibesstrafe, Festungsarrest oder Staupenschlag bedroht. Bettlerei wurde mit dem Pranger und Ausweisung aus dem Amtsbezirk bestraft. Auch die schweren Arten des Diebstahls waren früher mit dem Galgen bedroht. Noch 1750 setzte ein klevisches Edikt auf Raub und Einbrüche lebenslängliche Festung fest. (Scotti.)

 

Der Scharfrichter für Stadt und Amt Bochum w o h n t e seit alten Zeiten auf der Gerberstraße, in der Nähe des Armen- und Gasthauses, wie wir aus der Kaminsteuerliste Bochums vom Jahre 1664 ersehen. Obwohl er der Handhaber des Richtschwertes, des Symbols der unseren Vorfahren so wertvollen Blutgerichtsbarkeit war, galt er als nicht zunftfähig. Er betrieb ein „unehrliches“ Handwerk, besaß keine bürgerlichen Rechte und mußte deshalb auch in der Gegend wohnen, wo nur armes Volk hauste.

 

Zur Vollstreckung der zeitweise sehr häufigen Todesurteile waren in jedem der drei Teile des großen Amtes Bochum (Ober-, Mittel- und Unteramt) „Halsgerichte“ mit den nötigen Gestellen (Galgen, Rad) errichtet. Namen wie „am Galgenplatz“ in Sevinghausen, auf dem „Galberg“ beim „Tie“ (Versammlungsplatz) in Eppendorf, „am Galber“ in Westenfendt, „Galgenfeld“ in Stiepel erinnern an diese alten Richtstätten.

 

Die Instandhaltung dieser Geräte lag benachbarten Bauern seit alten Zeiten als Hofeslast ob. So mußte der Bauer Portmann in Stalleicken zu den beiden Halsgerichten des Mittel- und Niederamtes jedesmal ein Rad liefern, wenn die „Missetäter sollen gerichtet und abgetan“ werden, und an den Gerichtsplatz fahren.

 

„Wenn ein armer Sünder an der Magdebrugh (Maarbrücke vor Bochum) oder am G a l g e n p l a t z (Flur Haverfeld in Stalleiken) justifiziert werden sollte, mußte Portmann das Rad, Helf die Leiter dazu verschaffen, Heinrich am Ende mußte beide aufrichten; das Holz mußte der zum Preinshof in Höntrop gehörige Klöppers-Kotten liefern.“ Bis vor wenigen Jahrzehnten befand sich die Galgenleiter noch auf dem Helfeshofe (Hove tom Hellwege) in Stalleiken. Die „G a l g e n b a u e r n“ in Stalleiken und Umgegend waren für diese Handleistungen bei peinlichen Exekutionen von anderen Amtsdiensten befreit.

 

Auf der nördlichen Seite der E s s e n e r C h a u s s e e, in der Nähe der Zeche Eintracht Schacht II, weit sichtbar auf diesem hochgelegenen Gelände, standen an der Grenze der zur Landgemeinde Sevinghausen gehörenden Bauernschaft Stalleiken nach Freisenbruch zu auf dem Teil der Flur Haverfeld, der „Galgenplatz“ hieß, z w e i G a l g e n . Ein solcher stand auch an der M a a r b r ü c k e ; im vorüberfließenden Maarbach wurden die Kindesmörderinnen in einem Sacke, den sich die armen Opfer erst selbst nähen mußten, ertränkt. Für das O b e r a m t lag der Richtplatz in der W e r n e r H e i d e , wie von Steinen, Westfälische Geschichte 16. S. 136 berichtet. Durch diese Heide führte die alte Hauptstraße nach Lütgendortmund, Dortmund. Wegen des regen Verkehr war die Straße zur Aufstellung des Galgens und Abhaltung des Halsgerichts bei der damaligen Auffassung von dem Strafzweck der Abschreckung sehr geeignet. Auch auf der L a n g e n d r e e r e r H e i d e fanden Hinrichtungen statt, so z. B. berichtet das Kirchenbuch der evangelischen Gemeinde Uemmingen: den 19. Januarii 1766 ist Georg Wemann, Dankbars Knecht, ein ruchloser Mensch, ein Verächter der Gnaden-Mittel, welcher an der Langentreerschen-Heide auf der Wittenschen Landstraße unter einem Rade zerquetscht wurde, 46 Jahre alt, begraben.

 

Diese Richtstätten waren neben der armseligen Gefängniszelle in dem alten Renteigebäude, in der der Scharfrichter dem zur „peinlichen Frage“ genötigten armen Sünder ein Geständnis abzupressen versuchte, das eigentliche Tätigkeitsfeld, wo er mit seinen Henkersknechten seines grausamen Amtes waltete.

 

Wie bereits erwähnt, war seine s o z i a l e S t e l l u n g die denkbar schlechteste. Er stand ganz auf de niederen Stufe der Totengräber und Abdecker, deren Gewerbe er zeitweise mit ausübte. Bis 1743 war er auch in der Grafschaft Mark der staatliche Schornsteinfeger. Die Verachtung, die man auf ihn warf, traf auch seine Familie. Er wie seine Kinder waren von der Erlernung eines zünftigen Handwerkes ausgeschlossen. Man mied seinen Verkehr, er trug eine besondere Kleidung aus graufarbenem Tuch und einen roten spitzen Hut; in der Schenke durfte er nur auf einem dreibeinigen Stuhle sitzen, aus einem henkellosen Krug trinken. Beim Bezahlen der Zeche blies der Wirt erst über das hingelegte Geld, bevor er es einsteckte. Daß unter solchen Umständen der Scharfrichter seinen Kindern eigener Lehrmeister sein mußte, daß er diese nur wieder an unehrliche Familien verheiraten durfte und auf das Bürgerrecht im voraus zu verzichten hatte, zeigt uns die Geschichte der Bochumer Scharfrichter.

 

Versagte man dem Henker auf der einen Seite die bürgerlichen Rechte und die einfachsten Vorteile des gesellschaftlichen Lebens, so warf man ihm auf der anderen Seite das Geld mit vollen Händen zu. In der Höhe seiner Besoldung sowie seiner Einnahmen für die Ausübung der Tortur und Hinrichtung stand er den höheren Beamten der klevischen Regierung gleich; stolz sah er auf den viel tiefer stehenden Magister der Lateinschule herab. Neben diesen Einkommen aus seinem Amte übte er i m m e r d i e A r z n e i - u n d W u n d h e i l - k u n s t aus. Lag ihm doch bei der Tortur die Pflicht ob, den Missetäter möglichst wenig körperlich zu schädigen, mußte er diesen doch erst wieder heilen, bevor er nach Wochen mit einem höheren Grade der Marter beginnen durfte. Und diese Arznei- und Kurpfuscherkunst haben auch alle Bochumer Scharfrichter ausgeübt, sehr zum Schaden der zünftigen Bader, Chirurgen und Physici.

 

Das Richten mit dem Schwerte, „das Dekolliren“ oder „das Absetzen“, wie das Köpfen in der Kunstsprache der Scharfrichter hieß, war ein Handwerk, das eine sehr lange Uebung erforderte, es war eine „Kunst“, die gelernt sein mußte. Ehe der Scharfrichter den Titel eines „Meisters“ führen durfte, war er lange Jahre als Henkersknecht im „Geschäft“ seines Vaters tätig, bis dieser infolge Altersschwäche sein Amt aufgab und der Sohn an seine stelle rückte. Einfacher war die Tätigkeit des Henkers, und es ist bezeichnend, daß der Scharfrichter zur besseren Wahrung seiner „Meisterwürde“ das Aufknüpfen am Galgen seinen Knechten überließ, wie auch mit dem Begriff des Henkers ein höherer Grad von Unehre verknüpft war als mit dem eines Meisters der Scharfrichterkunst.

 

Dieser Meistertitel führte auch der erste Scharfrichter des alten Bochum, den wir aus der Steuerliste von 1664 kennen. „Meister Henrich“ (Wilhelm) hieß er, aus einer alten Scharfrichterfamilie stammend.

 

Sein Bruder Hans, auch „Meister“ seines Faches, erhielt 1655 „auf Attelstation“ des Magistrats der Stadt Bochum, daß er „Kunst erfahren“ sei, die Stelle des Scharfrichters in Kleve. In dem Attest des Magistrats wird ihm bezeugt, daß er „frommer, geringer Leute Kind sei und die Justifikation der Delinquenten, auf welche Art dieselben auch geschehen möge, verstehe.“ Als Meister Henrich Wilhelm 1678 starb, behalf man sich mit einem Stellvertreter, der aber „des Sauffens und der Füllerey derartig“ oblag, daß „auch die Bestialien (er war nebenbei noch Abdecker) in den Ställen über acht Tage tot liegen blieben“ und Bürger und Bauern sich beim Landrat beklagten. Der Landrat (Droste) Freiherr von Stünkede schlug deshalb die sofortige Ernennung eines neuen Scharfrichters und als solchen den Schwiegersohn des klevischen Meisters vor. Er sei „ein guter chirurgien“ und verstehe das Hinrichten, er habe „eine Probe mit dem Schwerte gezeiget, sich auch dato fleißig geübet wie auch in unterschiedlichen Zufällen getreulich seinem Schwiegervater beygestanden, derartig, daß er nunmehro für einen Meister in dieser Uebung und Gebräuch passieren kann“. Die klevische Regierung ernannte darauf mit Patent vom 8. Oktober 1682 Hermann Claesen zum Scharfrichter und Abdecker in Bochum. Bei dem Diebes- und Landstreicherunwesen, wie es damals um Bochum herrschte, wurde er viel in Anspruch genommen, auch mußte er wie sein Schwiegervater Matthias Schmidt die Exekutionen bei dem Spaenschen Regiment in Wesel versehen, was bei den harten militärischen Strafen für die rohen Burschen, die damals als Soldaten meistens zwangweise dienten, sehr häufig vorkam. Nach dem Tode des Schmidt wurde dem Claesen befohlen, in Kleve Wohnung zu nehmen und dort des Scharfrichtersamtes zu walten. In der Bestallungsurkunde vom 3. August 1693 wurden eingehend Amt und Besoldung besprochen. Ihm wurde aufgegeben, daß er „in allen peinlichen Sachen alle Executiones mit Tortur, Hals- und Leibstrafen, verrichten und sich darinnen absonderlich a u c h i n d e r C h i r u r g i e a , A r t z n e y u n d H e y l k u n s t , w i e e i n e m w o h l b e s t e l l t e n S c h a r f r i c h t e r e i g n e t u n d g e b ü h r t , verhalten und betragen solle“. Dagegen wurden ihm zugebilligt: freie Wohnung, zu seinem Unterhalte 100 Rthlr., das nötige Holz, die Kleidung, wie gebräuchlich, und folgende Taxen: „Für einen peinlichen Versuch 1 Hornsgulden und eine Kanne Wein, für jede Person, die er vom Leben zum Tode bringt, einen alten Schild und bey dem Gerichte ein halbes Viertel Wein.“ Wenn er außerhalb des Landdrosten Amtes von Kleve jemandem „Ohren abschneiden, Brandmarken, Augen ausstechen, mit Ruthen streichen oder der Stadt ausbringen muß“, darf er gleichfalls ½ Viertel Wein anrechnen. An Tagegeld stand 1 Reichsthaler „dem chirurgus und Nachrichter des Herzogtums Cleve“ – so nannte er sich in seinen amtlichen Schreiben – zu.

 

In Bochum wurde Daniel Stahlhauer zu seinem Stellvertreter bestimmt. Als dieser einige Jahre später starb, bat Claesen, einen seiner Söhne in Bochum anzustellen, aber man ließ es beim alten und zog hier erforderlichenfalls Claesen hinzu, wie der Bericht von 1714 (unten Nr. 4, Ziffer 7) zeigt. Nachdem dieser über 40 Jahre lang seines furchtbaren Amtes gewaltet hatte, wurde er wohl unter dem seelischen Drucke, der auf seinem Stand und Amt lastete, gemütskrank. Zeitweilig verpflegte man ihn auf Staatskosten im Schlosse zu Kleve, als aber der Hofmedikus ihn als nicht gemeingefährlich, sondern nur „ohn alle Vernunft“ erklärte, wurde er wieder nach Hause geschickt. Hier blieb er jahrelang „ahn Ketten und Banden“ gefesselt in der Obhut seiner Familie und seines Sohnes Ludwig Adolf, der Wundarzt war und seit dem Jahre 1726 für seinen kranken Vater das Scharfrichtergewerbe ausübte. Nach dem Tode des alten geisteskranken Claesen befahl das Berliner Ministerium, die Scharfrichterstelle öffentlich ausbieten zu lassen. Der Ankäufer sollte für seine Ernennung 50 Thaler an die Rekruten-Kasse, aus der der König sein Leibregiment, die „Riesengarde“ besoldete, geben und die Verpflichtung übernehmen, für die Frau Claesen lebenslänglich zu sorgen. Arnold Heinrich Göke ging auf diese Bedingungen ein und übernahm das Amt in Kleve und Bochum. Im Jahre 1746 trat er das Bochumer Scharfrichteramt und die Abdeckerei an seinen Schwiegersohn Diepenbruch gegen Zahlung von jährlich 20 Reichstaler ab.

 

Mit der Abschaffung der Tortur (1740) verringerte sich das Tätigkeitsfeld des Scharfrichters.

 

Im Jahre 1766 wurde die gesamte K r i m i n a l g e r i c h t s b a r k e i t i n A l t e n a eingerichtet. Der König wollte durch diese Zusammenfassung der Kriminalgerichtsbarkeit eine schnellere, wirkungsvollere Justiz für die schweren Strafsachen schaffen und dem Gesindel, das auf dem platten Lande in starken Banden sein Unwesen trieb, entgegentreten. Sein energisches Durchgreifen in dem märkischen Justizschlendrian hatte vollen Erfolg. Allmählich traten Ruhe auf dem Lande und ein Rückgang der schweren Verbrechen ein.

 

Das Scharfrichtergewerbe ging seinem Ende entgegen. Auch der Bochumer Scharfrichter Diepenbruch mußte sich nach einem Nebenverdienst umsehen, wenn es ihm auch noch nicht eigentlich schlecht ging und er über eigenen Grundbesitz – er wohnte Altenmarkt Nr. 9 – verfügte. Nach seinem Tode (1790) ging das Scharfrichteramt auf Konrad Peters über. Dessen Sohn Peter war der letzte Scharfrichter in Bochum, mit diesem Titel wird er noch in den alten Grundakten des Amtsgerichts bezeichnet. Er wohnte Gerberstraße Nr. 14 und starb unverheiratet 1812. Längst hatte die Gesetzgebung den Scharfrichter zum ehrlichen Manne gemacht. Der Hof- und Leibarzt König Friedrich I. von Preußen war der ehemalige Scharfrichter Coblenz. Viele Scharfrichtersöhne durften im 18. Jahrhundert Medizin studieren. (Keller, a. a. D. S. 268.) In den Tagen der französischen Revolution war auch die Henkerfamilie von der jahrhundertelangen Unehre überhaupt erlöst worden.

 

Zum Schlusse noch einige Worte über den alten Scharfrichter Claesen. Er war in Kleve als Arzt hochangesehen, sein Ruf erstreckte sich bis in das benachbarte Holland. Stolz wies er in seinen Schreiben auf die zahlreichen Dankesbriefe von Magistrat und Bürgerschaft hin; sein Einkommen war beträchtlich, und er verstand es, sich sein Amt bezahlen zu lassen. Als er in Emmerich im Jahre 1712 einem armseligen Bettler und Dieb namens Zacharias Jakobs der Folter ersten Grades (durch Aufsetzen von Daumschrauben) unterziehen und an ihm später die Strafe des Prangers, Stäupens und Brandmarkens vollziehen mußte, machte er folgende Rechnung auf, die als Kulturkuriosum mitgeteilt sei.

 

 

  1. Ein Bericht über die Untersuchung des Justizwesens in Bochum Stadt und Land aus dem Jahre 1714.

 

Die Rechtspflege im Amte Bochum wurde seit dem 18. Jahrhundert von dem königlichen R i c h t e r a l l e i n ausgeübt. Von seinem Amtsbereich waren aber die „a d e l i g e n J u r i s d i k t i o n e n“ oder Herrlichkeiten“ ausgenommen, die, teilweise schon aus älterer Zeit stammend (die Gerichtsbezirke Horst, Witten, Strünkede, Kastrop, Stiepel, Mengede, Herbede) hauptsächlich doch erst von dem Großen Kurfürsten geschaffen und an einheimische Adlige als Lehen verliehen worden waren (so Eickel an Konrad von Strünkede, Langendreer an Johann von der Borch). Diese Verleihungen umfaßten die untere Gerichtsbarkeit in Zivil- und Kriminalsachen, die die Jurisdiktionsinhaber also durch eigene Richter versehen ließen, und den Genuß der Brüchten (Polizeibußen) sowie der Dienstgelder, welche die Amtseingesessenen seit alten Zeiten an den Drosten und den Richter zahlten.

 

Je mehr das Rechtsprechen seit dem 16. Jahrhundert eine gelehrte Sache wurde, um so selbstherrlicher wurde der Richter, der nicht mehr durch Schöffen kontrolliert wurde. Diese Stellung nutzten die Richter meist zu ihrem Vorteile aus. Ohne feste Gehälter bezogen sie ihr Einkommen aus den laufenden Gerichtsgebühren, den Sporteln.

 

Die Richter in den kleinen adeligen Gerichtsbezirken hatten wenig Arbeit, die meisten waren in Bochum als Rechtsanwälte tätig und übten ihren Beruf als Richter nur nebenher aus. Ein juristisches Studium wurde für diese Richter nicht immer verlangt. Für den Bochumer Stadtrichter wurde erst mit Beginn des 18. Jahrhunderts die Absolvierung des Universitätsstudiums vorgeschrieben. Von 1715 ab wurde solches auch von den Jurisdiktionsrichtern und den Gerichtsschreibern verlangt.

 

Die schlechte Qualität der Richter (namentlich in den kleinen adeligen Gerichtsbezirken und im Sauerland) machte sich nicht nur auf dem Gebiete der Zivil-, sondern ebenso schlimm auf dem der Strafrechtspflege geltend. Dort Verschleppung der Prozesse und hohe Sporteln, hier Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit in der Beitreibung der Geldstrafen.

 

In Strafsachen hatte der Richter die s c h w e r e n Vergehen, auf denen „peinliche“ Strafen standen, zu untersuchen, das Urteil wurde aber von der R e g i e r u n g z u K l e v e , wohin die Akten gesandt wurden, gefällt. War der Beschuldigte nicht geständig, so ordnete diese auch die Anwendung der „peinlichen Frage“ (Tortur) an. Die l e i c h t e r e n Delikte, die durch Geldstrafen gesühnt wurden, gehörten vor das B r ü c h - t e n g e d i n g. Hatte sich jemand brüchtfällig gemacht, so wurde er von dem Richter „in dem Brüchtenzettel mit Tag und Umständen angeschrieben“. Jedes Jahr vor Ostern wurde dieses Verzeichnis an den Kgl. Anwalt gesandt. Dieser bereiste dann den Amtsbezirk, setzte auf dem Brüchtengeding mit dem Richter in mündlicher Verhandlung die Höhe der Geldbuße fest, die dann vom Richter beigetrieben wurde. Dieses Brüchtengeding fand im Amtsgerichtsbezirk Bochum nur alle zwei Jahre statt.

 

Beide Verfahrensarten hatten ihre großen Nachteile; in den Brüchtensachen wurde die Ansetzung der Gedinge oft jahrelang aufgeschoben, in den schweren Sachen nahm die Abfassung der Protokolle sehr viel Zeit in Anspruch, diese Verfahrensart erzog auch den Richter zur Unselbständigkeit, weil nicht er, sondern die Regierung in Kleve das Urteil auf Grund der Akten allein ohne mündliche Hauptverhandlung fällte.

 

Die Notwendigkeit der Verbesserung der Rechtspflege fiel dem K ö n i g F r i e d r i c h W i l h e l m I. gleich nach seiner Thronbesteigung auf. Zu Beginn des Jahres 1714 beauftragte er den klevischen Geh. Regierungsrat von B i e r e c k und den Hofrat S c h l ü t e r, das gesamte Justizwesen in Kleve-Mark eingehend zu prüfen.

 

Diese Kommission sollte sämtliche Gerichte der Grafschaft Mark revidieren und sodann eine neue Gerichtsordnung entwerfen. Im Mai 1714 hielt sie sich in Bochum auf und erstattete von hier aus den Bericht über den Zustand des Justizwesens in Stadt und Amt Bochum. Dieser Bericht i s t w o h l d i e b e d e u - t e n d s t e Q u e l l e f ü r d i e G e s c h i c h t e d e r B o c h u m e r G e r i c h t e ; ein Abdruck derselben unter Fortlassung von Unwesentlichem, namentlich der vielen juristischen lateinischen Fachausdrücke, gibt uns ein klares Bild über das Bochumer Gerichtswesen der damaligen Zeit. Erläuterungen sind in K l a m -m e r n sofort den betreffenden Abschnitten beigefügt.

 

1.

 

„Auff vorgenommener Untersuchung des Justizwesens im Amte Bochum, wie solche der allergnädigst erteilten Instruction gemäß geschehen, ist anfänglich angemerkt, daß der S t a d t Bochum Gericht von dem Amtsgericht unterschieden; und i n d i e s e m d i e f ü n f f E i g e n G e r i c h t e alß Stiepel, Mengede, Herbede, Witten und Horst abgesondert seyn wie denn auch Langendreer, Strunkede, Castrop und Eickel. Jenes wird durch einen S c h u l t h e i ß e n , dessen Amt nebst dem zugehörigen Schultheißen Hoffe erblich, verwaltet, sodaß derselbe in Civilibus allein, in Policey und Fiscalischen Sachen mit Bürgermeistern und Raht in anzusetzenden Rechts Tagen verfähret. Doch wird der Schultheiß nahmens Kgl. Majestät zu Cleve bestättiget, inmaßen solches aus gegenwärtigem Dr. Johann Heinrich E s s e l e n angelegter Confirmation und Bestellungs Brieff zu sehen. (Die Bestellungsurkunde war als Anhang beigefügt.)

 

Die übrigen so genannten Eigen- und andere Gerichte werden durch diejenigen, welche damit beliehen, mit Richtern versehen und haben mit dem Kgl. Amtsgerichte keine weitere Gemeinschaft alß, daß vom Stiepelschen Gericht an das Kgl. Bochumsche die Appellationes (Berufungen) gehen. Da von den anderen die Appellationes nach Lüdenscheid folgen, außer von Witten und Mengede, aus welchen Gerichten nach Dortmund und so ferner an das unmittelbare Reichsgericht provociert wird.

 

Das Kgl. A m t s g e r i c h t ,welches insgemein das L a n d g e r i c h t genannt wird, verwaltet jetzo Gerhard L e n n i g , der Rechten Doctor, welcher nach Absterben des vormahligen Richtern Doctoris Kumsthoff seit anno 1689 solches Amt gehabt. Er ist dazu, als ihm lange vorher schon die substitutio (Nachfolgeschaft) gnädigst conferiret worden, nahmens Eurer Kgl. Mists. Vaters Klg. Mist. Anno 1689 den 23. May von Cleve aus bestellt worden. Da in eventum, wann dieser verstorben oder sonst den Richter Dienst quitieren sollte, demselben schon anno 1689 den 30. Sept. Georg Henrich Kumsthoff substituieret.

 

An jährlichem G e h a l t hat er 15 Malter Hafer, für ein Kleidt aus den Brüchten 5 Goldgulden und gleich denen anderen Diensten einige der Untertanen Dienste, welche er selbst specificiert und etwa auf 50 Reichsthaler jährlich anrechnet und werden ihm, wie dey anderen Richtern angezeigt, auch die ungewissen Zugänge und Gerichtsgebühren gegeben.

 

(Bis 1753 war der Richter im Amte Bochum ohne Besoldung angestellt und lediglich auf die Gerichtskosten, eine sehr alte Naturallieferung an Hafer für sein Pferd und die Richterdienste angewiesen. In alten Zeiten wurden diese von den Landesbewohnern wirklich durch Botengänge, Hilfe in der Wirtschaft des Richters geleistet, aber schon im 16. Jahrhundert in Geld abgelöst, je nach der Größe des Hofes bis zu 1 Rthlr. Sein Einkommen betrug insgesamt etwa 300 Reichsthaler.)

 

2.

 

Assessores (Schöffen, Beisitzer) sind dey diesem Gerichte nicht, außer daß dey Formierung des öffentlichen Halßgerichts dey eynem Delinquenten die sogenannten S i e b e n F r e y e n , (wovon zween in der Langendreerschen Jurisdiction wohnhafft) zugelassen werden. Es sollen der tradition nach dieser Leute Vorfahren die Macht gehabt haben, wieder die zu exequierenden Urtheile, wenn selbige ihrem Begriffe nach der Billigkeit nicht gemäß erschienen, zu protestieren und sich derselben Execution in favorem delinquentis (zugunsten des Verurteilten) zu widersetzen. Nunmehr aber haben sie nur den Schatten davon übrig, wenn ihm zu Beybehaltung einiger Ceremonie, nachdem der Delinquent dey seinem Geständnis beharret, in loco separato vom Gerichts Schreiber die zu exequierende Sentenz fürgelesen und ihre Meinung darüber angehört, die Urteile aber exequieret werden.

 

Ein A c t u a r i u s (Gerichtsschreiber) ist dey dem Gericht, welcher allezeit daselbst in ordinario zugegen sein soll und das Protocollum führet. Des Richters Capacitet und Gelehrtheit mag hiebevor außer dem Charactere welcher selbige bemerket, nicht eben gering gewesen seyn. Sein itzo tragendes Alter aber, da Er schon über 70 Jahre hat, machet ihn etwas langsamer und schwächer und mag Er sich darunter woll selbst geprüfet haben, da Er, wo es zu einem Urtheil in Sachen kommet, einer Zeit hero fast alle ad extrancos transmittieret und licet non petentibus partibus solches dem Vorlaut nach ex officio veranlaßt habe.

 

(Der Bericht klagt also darüber, daß der über 70 Jahre alte Richter es sich bei der Prozeßverhandlung sehr bequem mache; er sammelte nur die Beweise, schickte aber dann die Akten zur Abfassung des Urteils an die juristische Fakultät einer Universität, z. B. Marburg oder an den Schöppenstuhl in Minden. Diese Einrichtung der „Aktenversendung“ kam mit dem 16. Jahrhundert immer mehr auf, ursprünglich stellte sie nur ein Gesuch um Rechtsbelehrung in schwierigen Sachen dar. Die Aktenversendung wurde erst 1746 von Friedrich II. verboten.)

 

Der Gerichtsschreiber jetzo Arnold Wilhelm Vethake, welcher anno 1699, den 18. November seine Bestellung zu Cleve erhalten, ist ein Literatus, der die Sache verstehet und hiebevor die Advokatur in anderen Judicis mitgetrieben.

 

Er hat gar keine Besoldung, wiewoll ratione criminalium et fiscalium den Angaben nach seine Antecessores aus den Brüchten Gefällen 20 Reichsthaler jährlichs gehabt haben sollen, welche der jetzige Zeit seines lfficii nicht genossen.

 

(Der Gerichtsschreiber war früher rechtsgelehrt und vertrat in Notfällen den Richter. Noch 1753 wurde bei der Gründung des Bochumer Landgerichts der jüngste Assessor als Actuarius verwendet. – Der genannte Actuarius Vethake war der Vater des Hoffiskals und Rentmeister Vethake, der eine Grolmann zur Frau hatte. Dessen Nachkommen verzogen nach Wesel.)

 

3.

 

Das Protocollum ist in judicialibus (im ordentlichen Verfahren) exhibiret, welches in einem gebundenen Buche geführet und darinnen die Recessus Protocollares Procuratorum, auch erfolgte Beschwerde ordentlich verzeichnet, in extrajudicialibus aber finden sich die Protocolle in den Actis auff einigen Cedulis.

 

(Unter extrajudicialia verstand man damals ein beschleunigtes Verfahren außerhalb des ordentlichen Zivilprozesses durch Bestellung eines Richters zur Untersuchung oder auch gleich zur Entscheidung von Rechtssachen. Solche „Kommissionen“ wurden auf Ansuchen der Parteien oder auch von Amts wegen durch die klevische Regierung angeordnet, wodurch der ganze Prozeß dem ordentlichen zuständigen Gericht überhaupt entzogen wurde. Diese Kommissionen kamen sehr häufig zur Abkürzung der prozessualischen Weitläufigkeiten vor; fast bei jedem Gerichtshofe gab es dafür eine besondere „Kommisionsstube“. Der bei den Parteien beliebte Richter wurde häufig zu solchen Kommissionen auserbeten. Es war eine Art richterlicher Privatpraxis, die etwas sehr Bedenkliches hatte, aber damals noch durchaus und allgemein üblich war. Beim Bochumer Amtsgericht waren fast gleich viel Kommissionen wie ordentliche Verfahren, wie die Prozeßtabellen, die dem Bericht beigefügt sind, zeigen.)

 

A c t a sind weder geheftet noch foliiert, sondern nach hiesiger Landesgewohnheit zusammengeleget, gebunden und außerhalb rubriziert, die Schrift aber nicht gar sauber und die Bescheide mehrenteils auff einliegende Zettulchen geschrieben, dilationes (Vertagungen des Termins) sind hiebevor reichlich erteilet und dadurch die Sache verlängert worden. Es wird aber das ludicium (Gericht) hinkünfftig nach der Verordnung von Verbesserung des Justizwesens zu achten haben. (Gemeint ist wohl das Justizreglement vom 21. Juni 1713.)

 

In E x e c u t i v i s (Zwangsvollstreckung) hat sich nicht gefunden, daß die Leute zur Ungebühr vorsätzlich aufgehalten seyn, sondern auf ergangenes Mandatum ad solvendum (Zahlungsbefehl) ist, wenn debitor (der Schuldner) dagegen nichts eingewandt, execution (Pfändung) und nach Gelegenheit aestimatio (Abschätzung) und distractio pignorum (Versteigerung der Pfandstücke) erfolget.

 

4.

 

Sindt gesammte A c t a fürgezeiget, sind aber n i c h t i n g u t e r O r d n u n g , ob sie mal der Gerichts Schreiber in seinem Hause in einer Kammer verwahret. Was für Sachen in ordinario (in ordentlichen Prozeßsachen) und extrajudicialibus (im beschleunigten Verfahren) anhängig, auch vor dem Schultheißen anhängig, ist in den Anlagen angegeben.

 

Der M o d u s p o c e d e n d i (Prozeßverfahren) ist gleich anderen orten in civilibus ordinarius in scriptis (in Zivilsachen das gewöhnliche s c h r i f t l i c h e Prozeßverfahren) und gehen die Appellationes (Berufungen) von dem Landgericht nach der Mittel-Instanz zu Lüdenscheid, auch so ferner nach Cleve. (Diese sogenannte „Mittelfahrt“ nach Lüdenscheid zum dortigen „Hochgericht“ wurde erst 1719 abgeschafft, weil diese Instanz überflüssig sei und den Prozeß verteure.)

 

Vom Processu nullitalis (Richtigkeitsbeschwerde) hat sich hier kein Beispiel gefunden; weil durchgehends die summa appellabilis (Berufungssumme) auff 25 clevische Thaler gesetzet und das Gericht in Lüdenscheid nahe dey der Hand, so behelfen sich die Beschwerdeführer lieber mit der Berufung als der Richtigkeitsklage.

 

Man hat auch von der J u d e n s c h a f f t den Juden M a r c u s , welcher noch einige Handlung treibt, kommen lassen und vernommen, ob wegen der Justizverwaltung sie einige Beschwerde zu führen hätten. Der sich aber ad protocollum vom 11. May declarieret, daß Er für seine Person nicht zu klagen habe, auch sich lieber vergliche, als Prozeß führe.

 

(Die jüdische Familie Marcus in Bochum war die wohlhabendste in der Grafschaft Mark. Die Zahl der Juden war in Bochum auf sechs Familien vom Großen Kurfürsten bestimmt; jeder Jude hatte zur Niederlassung einen Schutzbrief nötig, den er gegen ein Schutzgeld erhielt. Vergl. Einzelheiten über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Juden bei Maser, Die Juden in der Grafschaft Mark. 1913.)

 

5. und 6.

 

Sind keine Klagen wider den Richter daselbst eingelauffen, noch Commissarii von jemanden angetreten worden.

 

7.

 

In p e i n l i c h e n S a c h e n (Strafsachen) ist inquisitorie (mit Voruntersuchung) verfahren. Bey denen Actis sind zwar keine Defensiones (Verteidigungsschriften) gefunden, es sollen aber, wenn inquisiti (die Beschuldigten) darumb angehalten und sie dazu verstattet würden, einige zu Cleve alsdann eingebracht seyn. Testes (Zeugen) sind auch hier ad articulos fiscales probatioriales (auf die amtlich zur Aufklärung der Straftat gestellten Beweise) endlich vernommen und dagegen wieder der Inquisitor auf gleiche Art gehöret. Als in puncto furti (wegen Diebstahls) wider Johann Georg Meyer und Johann. Georg Dieckhoff anno 1711 inquisitio (die Voruntersuchung) angestellt, hat der letzte in actis defensio zu führen begehret, ist aber dazu nicht verstattet, sondern durch Reskript der Clevischen Regierung vom 22. May 1711 (wohin die acta versandt worden) z u m S t r a n g c o n d e m n i e r t ( v e r u r t e i l t ) worden, weil er schon confessus (geständig) gewesen, welches ebenfalls Ursach, daß, als Johann Schwartz, inquisitus in puncto furli (angeklagt wegen Diebstahls), dazu nicht verstattet, obschon er es begehret. Inmaßen nun Schwartz den 2. May gehangen, seine Frau ausgestrichen (mit Ruten ausgepeitscht) und dessen Stiefsohn Johann Christian Marten zum Festungsbau nach Wesel gebracht. Desgleichen auch Hans Jürgen Meyer in anno 1711. Dieckhoff, aber dessen auch Erwähnung schon geschehen, ist nach eingelassenem Urteil unerachtet er in schweren Banden gesessen und überdem mit Schützen bewahret worden, aus dem damahligen Gefängnis entkommen, ehe der S c h a r f r i c h t e r von Cleve Johann Hermann Claesen, welcher die Exekutiones zu Bochum mitverrichtet, zur Vollstreckung derselben sich eingefunden. Der Richter hat es an die Regierung berichtet und sind die Schützen wegen ihrer kommittierten Regligence (wegen ihrer Nachlässigkeit) in Brüchten (Geldbußen) geschlagen.

 

Das Gerüchte des Ortes ist wohl, daß er durch anderer Mithülfe aus dem Gefängniß gebracht worden und daß der Frohne Adam Velten gesagt haben solle, daß er wisse, wer den Inquisiten noch einige Tagen nach dem Ausbruche bey sich im Hause gehabt habe. Er hat aber, als er darüber vernommen, geleugnet, aber reseriert, daß er noch abends vorher das Gefängins visitiert und alles, weil der Unterfrohne Conrad Peters den Inquisiten schließen müssen, in gutem Stande gefunden, auch daß ihm Geld wegen dieses Kerls geboten worden, weshalben ihm dessen Nichte Boten geschicket, er sey aber nicht aus dem Orte deshalben gangen. Indem Commissarii von Bochum abgereiset, ist Ihnen noch die Persohn, welche den Dieb verborgen haben solle, nahmhaft gemacht, weshalben dahingestellt wird, ob Sr. Königl. Majestät belieben wollen, daß der Schultheiß von Esselen über die Sache näher inquirieren und zur ferneren Verordnung dahin weiter berichten möge.

 

Die G e f ä n g n i s s e sind bey dem Brande der Rentmeisterey hierselbst (der Brand war im Jahre 1684, Kortum im Westf. Magazin1790. S. 227) verfallen, daher auch der letztgefangene Dieb in ein Hauß von einigen Schützen bewachet worden. Es ist aber bereits berichtet, daß diese und die Verhör Stube – da immittelst der Richter alle 14 Tage Montags das G e r i c h t i n s e i n e m H a u s e h ä l t – aus den Brüchten Gefällen repariert werden sollen und stehet zu Sr. Kgl. Majestät allergnädigstem Gutfinden, ob derselbe zur Auffbehaltung der Registratur und Akten beym Wiederanbau etwa ein woll verwahrtes Zimmer anzurichten.

 

Das letzte Brüchtengeding im Amt ist anno 1712 gehalten. (Dieses Gericht für Bagatellsachen ist bereits besprochen worden.) Der Brüchten Zettull ist produziert und die Brüchtfälligen nicht übermäßig angestrenget worden. Von denen in der Stadt fallenden Brüchten aber wird Sr. Kgl. Majestät nichts berechnet, sondern einen Teil genießet der Schultheiß, den anderen die Bürgermeister, und den dritten die übrigen Ratsglieder. (Vergl. das Privilegium der Stadt vom 8. Juni 1321, Darpe. Urkundenbuch Nr. 2, „de omnibus excessibus tollet sculietus noster tertiam partem et duos partes tollent oppidani.“)

 

8.

 

Wegen eines Anwalts ist hier nichts anderes, alß was von Unna aus alleruntertänigst berichtet, zu melden. Wann pro Interesse Fiscali etwas Importantes vorkommen, wird selbiges nach Cleve berichtet, wie denn anno 1711 1712 in causa Hackerts contra Ostermann und Consortes wegen einer übel geschlagenen Frau Bericht erstattet und auff geschehene Untersuchung selbige und in anderen exempeln nur die Delinquenten von der Regierung in Brüchten geschlagen worden. (Unter „Anwalt ist hier der Vertreter des Fiskus im Brüchtengeding und für sonstige staatliche Interessen gemeint.)

 

9.

 

Vergl. unten unter 5. (Advokaten.)

 

10.

 

Es sollt auch hier die märkische Untergerichts Taxe observiert seyn und haben Richter und Actuarius auff ihre Pflicht die anliegende Specifikation dessen, was sie zu erheben gewohnt, eingereicht. Es ist keine Klage entstanden, daß der Richter ein mehres genommen, und den Leuten zu ihrem Rechte zu helffen.

 

11.

 

Des Drosten (Landrats-) Amt hat bis dahero der Geheime Regierungs-Rath und Kammer-Präsident Freiherr von Strünkede verwaltet, an welchen, wenn die Regierung es nöthig gefunden, des Amtes halber die specialen Commissiones gangen. Nunmehr aber hat diese Funktion der Freiherr von Strünkede zu Dorneburg würklich übernommen, dem die Eilfertigkeit seiner Reise nach Berlin, um die Stelle eines Kammerjunkers zu bekleiden, nicht gestattet, daß man ihm konferieren könne, wie er auff die Administration der Justiz acht haben wolle.

 

Bochum, den 18. May 1714.

A. D. von Biereck. R. Schlüter.

 

In den Anlagen des Berichts findet sich eine Aufzählung aller anhängigen Prozesse „der de praesenti litispendent seyenden Sachen“. Hiernach waren am Amtsgericht 32, am Schultheißengericht 22 Sachen anhängig. Die Sachen sind einzeln angeführt, z. B. 5. Doctor Brockhaus contra de Rump, objectum litis ist eingeklagte Real und Verbal injuria. Anno 1711 7. decembris in judicium deducta, steht jetzto in terminis Probatoriis, wird langsam ventiliert.

 

14. Friemann contra Goerdt wegen einer Fidejussion (Bürgschaft) ist in puncto exceptionis ordinis et detali iuramenti abgetan, soll nochmals vergleichen seyn, maßen einige Zeiten darunter nichts verhandelt.

 

21. Erbgenamen Eberhardt Schillings contra Stadt Bochumb est causa debiti und stehet in praeliminaribus.

 

  1. Conrad von Öpen pauper contra Ostermann injuriarum wegen daß dieser jenen geschlagen, in anno 1712 causa in judicium deducta, ist einige Zeit post communicationem rotulorum testium darin nicht gehandelt, vermuthlich stehet in terminis concordiae.

 

Von den 32 Prozessen am Amtsgericht betrafen 15 Geldforderungs-, 4 Erb-, 5 Servitut-, 1 Hypotheken- und 7 Beleidigungs- und Schadensersatzklagen, von 22 Prozessen des Schultheißengerichts 11 Geldforderungs-, 4 Erb-, 7 Beleidigungs- und Schadensersatzklagen.

 

Wenn man bedenkt, daß das Amt Bochum zur damaligen Zeit mindestens 11 000 Seelen, die Stadt mindestens 1500 Einwohner hatte, so ist der Prozentsatz der Prozesse im Amte äußerst gering. Es herrschten eben völlig ländliche Verhältnisse, zudem wirkte die durch den Dreißigjährigen Krieg hervorgerufene Verarmung der Bevölkerung noch nach.

 

Unter der Prozeßübersicht des S c h u l t h e i ß e n g e r i c h t s steht ein weiterer interessanter Vermerk: „in der Stadt wirdt auch die publicierte Tax Ordnung wie im Amte observieret und ist schier einerlei modus procedendi. Das ordentlich Gericht wird von 14 zu 14 Tagen auff dem Rathhausse gehalten. Sonsten zu notieren, daß der Droste oder der Richter des Amtes Bochum in der Stadt keine Cognition hat. In Polizey Sachen und in Fiscalibus konkurieren mit dem Schultheißen die Bürgermeister und Rath und werden diese Sachen auff den vom Shcultheißen angesetzten Rathstagen de plano mehrenteils abgethan.“

 

Die Kommission Biereck-Schlüter setzte ihre Tätigkeit über die Revision der Gerichte in der Grafschaft Mark bis Ende September 1714 fort. Ihr Bericht machte die Berliner Behörden auf die zahlreichen Mängel im Gerichtsverfahren aufmerksam, mit der Klever Regierung arbeitete das Justiz-Departement eine neue Brüchtenordnung aus, die am 12. Juli 1719 als kleve-märkisches Gesetz publiziert wurde und das Brüchtending als besonderes Gericht abschaffte. Für die höhere Strafrechtspflege wurde 1717 die kurmärkische Kriminalordnung auf Kleve-Mark übertragen. Aber trotzdem hörten die Klagen über das Gerichtswesen nicht auf; die unteren Gerichtsbehörden richteten sich vielfach nicht nach den Berliner Anweisungen, es fehlte vor allem an Geld, um namentlich auf dem Gebiete des Gefängniswesens Abhilfe zu schaffen. Erst dem Großkanzler Samuel von Cocceji, Justizminister unter Friedrich dem Großen, gelang es nach wiederholten Inspektionsreisen in der Grafschaft Mark, durch die großartigen Organisationen der Jahre 1749 und 1753 (Abschaffung der Einzelgerichte, Schaffung der kollegialen Landgerichte), das ganze Justizwesen auf eine gesunde Grundlage zu bringen.

 

 

  1. Bochumer Advokaten und Prokuratoren

im 18. Jahrhundert.

 

Ueber die in der Stadt im 18. Jahrhundert ansässigen Rechtsanwälte und ihre wirtschaftliche Lage war bisher nichts bekannt. Darpe S. 401 führt nur die Namen der 1759 am Landgericht tätigen Advokaten an. Die Akten des Justizdepartements im Geh. Stadtarchiv in Berlin ermöglichen diese Lücke in unserem Wissen auszufüllen, und geben an manchen Stellen interessante Einblicke in die Lage des Anwaltstandes im 18. Jahrhundert. Die folgende Schilderung beruht auf Akten des Justizdepartements über Bittgesuche der Bochumer Anwälte aus dieser Zeit.

 

Vorweg sei bemerkt, daß in älterer Zeit die Wahrnehmung von Rechtsangelegenheiten unter zwei verschiedene Klassen von Juristen geteilt war. Man unterschied zwischen A d v o k a t e n und P r o k u r a t o r e n. Ersterer war der juristisch gebildete Rechtsbeistand der Partei, der Prokurator war ein nicht dem Juristenstande angehöriger Agent der Prozeßführenden, der seiner sozialen Stellung nach etwa mit dem heutigen Winkelkonsulenten zu vergleichen ist. Der A d v o k a t trat nur vor Gericht auf, mit seiner Partei stand er nicht in persönlicher Berührung, den Verkehr mit dem Gericht durch Abfassung der Schriftsätze, den gesamten Schriftwechsel mit der Partei vermittelte der Prokurator. Dieser war die Hauptantriebsfeder eines jeden Prozesses, er wählte den Advokaten für die Sache, verfolgte den ganzen Prozeß auf der Gerichtsschreiberei und sorgte auch für den Richter durch Verschaffung der viel Geld einbringenden „Kommissionen“. Natürlich war diese Verdoppelung des Standes der Sachwalter mit den doppelten Kosten für die Parteien verbunden. Die Ausbeutung des rechtsuchenden Publikums sowohl durch Advokaten, Prokuratoren mit ihren hohen Gebühren, ihren Schikanen und Prozeßverschleppungen wie auch durch die hohen Gerichtssporteln der ohne feste Besoldung angestellten Richter war so groß, daß Preußens Könige und Justizminister in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit aller Schärfe gegen diese Uebergriffe im Gerichtswesen einschreiten mußten. Vor allem kämpfte Friedrich Wilhelm I. gegen das Treiben der Advokaten, in seinem derben Eifer diktierte er ihnen bald nach seinem Regierungsantritt eine lächerliche Standestracht zu, das ominöse kurze Mäntelchen aus schwarzer Seide, das sie unweigerlich tragen mußten, damit man die „Blutigel und Suplikenschreiber“ von weitem erkennen und sich vor ihnen hüten könne. Später ging er dazu über, ihre Gebühren derartig zu kürzen (1738), daß sie kaum ein Auskommen hatten. Natürlich war diese Behandlung nicht geeignet, den Stand zu heben. Auch auf eine Einschränkung ihrer Zahl drang er und forderte die Untersuchungskommission gleich nach Einsendung ihres Berichts auf, für jedes Gericht eine bestimmte Anzahl Advokaten zuzulassen, deren Patente er selbst unterschreiben wolle. Auch mußte die Kommission Viereck-Schlüter über den Geschäftsbetrieb der märkischen Advokaten eingehenden Bericht erstatten.

 

In ihrem Revisionsbericht vom 18. Mai 1714 heißt es unter Ziffer 9: A d v o c a t i des Gerichts im A m t e Bochum sind die Doctores Grollmann, Brochaus und Essellen, welche nicht nur die Zahl, wie Sr. Königl. Majestät sie eingeschränkt wissen wollen, ausmachen, sondern auch ferner gelehrte Männer sind und welche ihren Ruhm haben und soll diesem Bericht noch Dr. Lennig, des Richters Sohn als advocatus pauperum (Armenanwalt) zugefüget seyn, womit also voll auszukommen. Die haben aber allerseits die Patente noch nicht und ist angemerket, daß daher woll entstanden, daß der Richter in einigen noch lauffenden Prozessen die Producta ohne Unterschrifft der Advocaten angenommen.

 

An P r o c u r a t o r e n sind bey dem A m t s g e r i c h t gelassen worden Schmedden, Ferver und Conrads. Weil abe jener bey dem Stadtgericht zugleich Actuarius und Secretarius der Stadt ist, welches woll nicht hindern könnte, daß er nicht Procurator bei dem Amtsgericht sein sollte.

 

Weil das Stadtgericht Dienstags und also alio die als das Landgericht gehalten wird, so würde doch noch etwa einer bey dem Stadtgericht unmaßgeblich zu bestellen seyn. Weshalb sich Roskotte, eines Bürgers Sohn, welcher sonst hiebevor das Procuratorium executiert, aber noch ein junger Mann, gemeldet, als auch von dem Schultheißen das anliegende Memorial der Commission wegen eines Procuratoris des Stadtgerichts Lindemann, welcher papistischer Religion ist, abgegeben.“

 

Der am Schlusse erwähnte Lindemann hatte sich mit folgendem „unterdienstlichen Memorial und Bitte“ an den Schultheißen gewandt:

 

„Hochedler Hochgeehrter Herr Schultheiß. Weil Ew. Hochw. Am besten bekannt ist, wie es mit der jüngsten Anordnung der Procuratoren hierselbst zugegangen und wie es sonst vorhin damit gehalten worden, indem nämlich . . . . . es geschehen, daß der Richter des Ambts Bochumb bloß alleyn von den Procuratoribus, die er an seinem Gericht recipiert, Meldung gethan, von den übrigen aber so an hiesigem Stadtgericht an vielen Jahren hero wie auch sonsten in extrajudicialibus an anderen Gerichten zugelassen worden, nicht das geringste erwähnt haben soll, also daß erfolget, daß die klevische Regierung aus den vom Amtsrichter berichteten Persohnen drey Sr. Kgl. Majestät denominiret, die sich auch am Stadtgericht so woll alß an allen anderen hiesigen ludiciis alleine des Procuratorii anzumaßen vorhaben seyn, es ist aber notorium, daß unter den drey genannten Personen der erste Johann Didrich Schmedden secretarius und Stadtgerichtsschreiber hieselbst sey und also am Stadtgericht das Protocollum führen müsse, folglich nicht zugleich procurator seyn könne, sodann ist stadts- und gerichtskundig und Ew. Hochw. insonderheit bekandt, daß die anderen beyden Conradts und Ferver noch junge Leute sein, die in praxi fast weniger Erfahrung haben, gestalt auch Conradts nicht einmahl juri studieret, sondern studiosus theologiae genossen, so derselbe abandonnieret und sich hiesiger Stadt eingefreyet hatt, hingegen ich nicht allein ein einheimischer und in hiesiger Stadt geborener sey, sondern auch auff der Universität zu Cöllen einige Jahre dem stidio juris obgelegen, auch ab anno 1694 bis dahin mich in praxi fleißig geübt und das procuratorium dergestalt treu und fleißig verwaltet, daß männiglich mit mir voll zufrieden gewesen, wie denn auch daneben als Notarius bey dem clev. und märkischen Hofgericht im anno 1697 recipiert und immatriculiert worden, also daß ich notorie unter die ältesten und ohne Ruhm zu melden gleichfalls unter die capabelsten begriffen und zu meinem höchsten Beschwer gereichen würde, wenn ich nunmehro von dem procuratorio gäntzlich excludirt und andere junge Leute mir vorgezogen werden sollten. Also bitte ich Ew. Hochw. von diesen oberwähnten wahren Umbständen an die jetzo anwesende zur Untersuchung des Justizwesens verordneten Commissarios zu berichten . . . . Ew. Hochwl. Dienstgehorsamster Georgius Henricus Lindemann, imp. publ. clivis. immatric. notarius.“ Dieses Schreiben überreichte der Schultheißen Dr. Esselen der Regierungskommission, die in ihrem Bericht (s. oben am Ende) auf Lindemann hinwies. Aber das Justizdepartement wollte nichts von ihm wissen, der Lindemann „müsse schlechte Studia gehabt haben, indem er seine Wissenshcaft dergestalt angibt, daß er juri studiert habe“, weshalb Roskott, wann er tüchtiger bei der Prokuratur sei, ihm vorzuziehen wäre. Schließlich wurde aber Lindemann als Prokurator wieder zugelassen.

 

Die beiden oben genannten Advokaten E s s e l l e n und G r o l m a n n sind Mitglieder der der alten Patrizierfamilien, die im 17. und 18. Jahrhundert im Wirtschaftsleben Bochums an erster Stelle stehen. Von ihren alten Höfen, dem Schultheißen- und dem Hellwegshofe, leiteten sie das Stadtwesen, waren als Bürgermeister, im Rat, im Gerichtswesen tätig und verfügten über großen Grundbesitz in der Feldmark wie unter den Bauerngütern der Umgegend. Die E s s e l l e n stammten aus Plettenberg, waren ursprünglich adelig, legten aber als Gewerbetreibende bei ihrer ersten Ansiedlung in Bochum den Adel ab. Die G r o l m a n n s stammten von dem Grolmannshof in Ueckendorf ab, der zu dem Oberhofe Huckarde der Abtei Essen gehörte. Ein Jasper vom Schese genannt Gromann wurde 1582 in die Bürgerschaft von Bochum aufgenommen. Seit dieser Zeit sind die Grolmanns bis in das letzte Jahrhundert hier ansässig gewesen. Sie betrieben vor allem den Tuch- und Eisenhandel, gelangten schnell zu großem Reichtum und wurden seit dem Dreißigjährigen Kriege die Hauptgläubiger der verarmten Stadt. Der oben genannte Dr. Grolmann war der Sohn des Kaufmanns und Rentmeisters Georg Grolmann (1635-1714). Er war geboren am 10. April 1664 und als Advokat in Bochum tätig, erhielt später auch den Titel eines Geheimen Justizrates beim Hofgericht in Cleve. Er starb am 8. Juli 1730. Seine Söhne und Enkel machten im Regierungsdienst einen glänzenden Aufstieg. Drei Enkel wurden zu gleicher Zeit durch Kabinettsordre vom 29. September 1786 in den preußischen erblichen Adelsstand erhoben.

 

Dr. Christoph Dietrich Essellen war der Sohn des Adolf Heinrich Essellen, der auf dem Hellwegshofe seinen Wohnsitz hatte.

 

Die Familie Essellen, der im Jahre 1787 der Adel wiederverliehen wurde, ist bei der Geschichte des Hellwegshofes im ersten Jahrgang dieses Heimatbuches besprochen worden.

 

Man entnimmt dem Bericht, daß die Bochumer Anwälte vor der Kommission sehr gut abgeschnitten; es waren tüchtige Männer, „welche ihren Ruhm haben“, aus wohlhabenden Familien stammten und keine Sporteljäger waren. Dem Willen des Königs gemäß war ihre Zahl auf drei Advokaten für das Bochumer Amtsgericht festgesetzt.

 

Als Friedrich der Große auf verschiedenen Reisen im Klevischen sich mit der Tätigkeit der Richter und Advokaten vertraut gemacht hatte und sowohl er wie sein Justizminister von Cocceji den denkbar schlechtesten Eindruck erhielten – der letztere nannte in einem Bericht die Richter „Ignoranten, die von Justiz keine Ahnung hätten, durch ihr Sportulieren das Bauernvolk aussaugten, die armen und miserablen Leute von Gerichtsschreibern nicht einmal zu allen gerichtlichen Akten heranzögen“ – war die große kleve-märkische Justizreform eine beschlossene Sache.

 

Auch mit dem Geschäftsbetrieb der märkischen Advokaten war die Regierung sehr unzufrieden. In dem modus procedendi für die Untergerichte vom 6. August 1739 ließ sie die Advokaten warnend mahnen: „Wenn die Untergerichtsadvokaten sich durch die vorhergehende Warnung und Straffen nicht bessern, die Sachen nicht beschleunigen, die vielen weitläufigen und mit ganz unnötigen Beylagen angefüllten Memorialien nicht abschaffen, so werden Sr. Kgl. Majestät die sämtlichen Advokaten abschaffen.“

 

Auch in den folgenden Jahrzehnten ermahnte die Regierung immer wieder die Anwälte, die Prozesse zu beschleunigen und nicht durch allerlei Winkelzüge zu verteuern.

 

In dem kleinen Landstädtchen Bochum war die wirtschaftliche Lage der Anwaltschaft unter der Regierung Friedrich des Großen nicht besonders gut. Eifersüchtig sah man darauf, daß die vorgeschriebene Zahl von Advokaten nicht überschritten wurde. Sie konnten nur knapp von den Gebühren leben. Fast alle hatten deshalb noch gewinnbringende Nebenposten, sei es als Syndici der Adelsfamilien, als Jurisdiktionsrichter oder als Fiskale. Letztere waren die Spione des Königs, Aufseher nicht bloß über die Bevölkerung in ihrem Leben und Treiben, sondern auch über das Beamtentum. Sie hatten die Straftaten anzuzeigen und das gerichtliche Verfahren zu betreiben, wenn der Angeklagte nicht geständig war. Sie mußten auf Richter, Gerichtsschreiber und Advokaten achten, daß sie das vorgeschriebene Prozeßverfahren anwandten, die richtigen Gebühren berechneten, hatten dem städtischen Magistrat auf die Finger zu sehen, den Wandel der Geistlichkeit, das Leben der Christengemeinde zu beaufsichtigen – kurz, es gab kein Gebiet des bürgerlichen Lebens, keinen Zweig des öffentlichen Dienstes, wo sie nicht gelegentlich mit ihrem Spüreifer eindrangen. Als in der Grafschaft Mark die Zahl der Advokaten herabgesetzt wurde, stürzten sich die Anwälte auf dieses Amt des Hoffiskals, aber Friedrich Wilhelm I. setzte 1717 ihre Zahl auf fünf für Kleve und Mark fest, „weil Fiscus sattsam damit versehen sei“ und die Prozesse gegen die Untertanen oft nur der Gebühren halber aus geringfügigen Ursachen begonnen würden.

 

Die Justizreform des Jahres 1753 brachte die Abschaffung des Einzelrichters und die Gründung der kollegialischen Landgerichte. Auch die Zahl der Advokaten wurde erhöht, denn Friedrich der Große urteilte: „Man muß denen Westfälingern, die von Gott und der Vernunft entfernt und zum Zanken geboren sind, um des Herzens Härtigkeit willen soviel Advokaten geben, als sie haben wollten.“ Diesem Grundsatz entsprechend wurden im § 10 der Landgerichtsinstruktion vom 3. Oktober 1753 für Bochum vier, für Hattingen zwei Advokaten zugelassen, die an dem beide Aemter Bochum und Hattingen umfallenden neuen Bochumer Landgericht tätig waren. Letzteres war im Rathause am Marktplatz untergebracht. Die ersten Advokaten an diesem Gerichte waren Schragmüller, Vethake sowie die Fiskale Franzen und Starmann und der Kriminalrat Heidfeld.

 

Es würde zu weit führen und den Rahmen dieses Aufsatzes überschreiten, wenn die weiteren Schicksale des Anwaltstandes unter Friedrich dem Großen, der schließlich sogar die Advokaten zu staatlichen Beamten, den „Justizassistenzräten“ (1780-1783) machte, eingehend dargelegt würden.

 

Es sollen hier nur kurz noch aus einem Aktenband des Geh. Staatsarchivs einige für die Lage des Bochumer Anwaltstandes interessante Mitteilungen gemacht werden. Als im Jahre 1785 der Rechtsanwalt Spannagel starb, wandten sich die Justizkommissare – so hießen seit 1783 die Rechtsanwälte – zur Nedden, Starmann, Elscheid, Bordelius an das Ministerium mit der Bitte, die Zulassung eines weiteren Anwaltes – der Justizbürgermeister Rautert aus Hattingen hatte sich gemeldet – zu verhindern, „weil bei der täglichen Verminderung der Rechtshändel der Verdienst zum nötigen Lebensunterhalt kaum hinreicht und wirklich sieben Justizkommissare vorhanden, obwohl die Arbeit durch höchstens vier überflüssig versehen werden kann.“

 

Die Regierung in Kleve bat aber, dieses „unter dem Vorwande des gemeinen Bestens aus Haabsucht“ gegründete Gesuch abzulehnen, weil der Gerichtsbezirk Bochum mit 2282 Feuerstellen und 10 000 Seelen sehr groß und genügend Einkommen für einen weiteren Rechtsanwalt vorhanden sei, zudem die Justizkommissare Striebeck und der jüngere Starmann in Hattingen und Herbede wohnten. Hiergegen nahmen die Bochumer Anwälte wieder Stellung. Sie berichteten über die Bochumer Verhältnisse: „in der ersten Periode (ab 1753) waren sechs Advokaten als eine bestimmte Zahl angeordnet; wie aber der weitschweifige Gang der Prozesse zu der Zeit war, als noch die Wahrheit des Facti blos in den Händen der Advokaten war, ist noch bekannt. In der zweiten Periode (1780 bis 1783), wo nur blos die Gerichtsassistenten im Prozesse zugezogen wurden, waren beim hiesigen Gerichte vier angeordnet, diese konnten bei der Simplifikation der Rechtshändel die vorkommenden Geschäfte sehr gut bestreiten. In der dritten Periode als der gegenwärtigen sind die Assistenten mit den Justizkommissarien vereinigt und durch diese Combinatin entstanden acht Subjekte, es wurde also bei der verminderten Arbeit die Zahl der Rechts Freunde dem Endzweck zuwider sogar vermehrt.“ Das Ministerium verschloß sich diesen Ausführungen nicht und ordnete die Nichtwiederbesetzung der erledigten Stelle an. (1791.) Im Jahre 1794 bat der Regierungs-Referendar S c h m i e d i n g aus Witten um Zulassung zum Justizkommissare, die zugelassen seien, keine Dienste mehr machten. „Dieses ist der Fall bei dem Hoffiskal Starmann in Herbede, der ein abgelebter Mann ist, ebenfalls bei dem Hoffiskal Striebeck in Hattingen, dem Richter Jacobi und dem Juris-diktionsrichter zur Nedden zum Bruch, welche wegen ihrer sonstigen Geschäfte (sie waren Generalbevoll-mächtigte mehrerer adeligen Häuser und Richter in den kleinen Gerichten Herbede, Stiepel und Bruch bei Hattingen) selten als Mandatarier prozeßführender Parteien beigedachtem Landgericht erscheinen.“ Der Sitz in Witten liege für ihn wie auch für das rechtsuchende Publikum der angrenzenden Landgerichte Unna und Hagen sehr günstig. Aus diesem Grunde sei auch der vor etlichen Jahren in Witten gestandene Jurisdiktions Richter Franzen (gestorben 1767) bei dem Landgericht in Unna als Supernumerarius mit der Erlaubnis, in Hörde wohnen zu dürfen, angeordnet worden. Aktiv tätig am Bochumer Landgericht seien nur Bordelius, Elscheid und Staarmann junior. In einem Gutachten pflichtete das Bochumer Landgericht (von Essellen, Natorp, Bölling) dem jungen Anwärter Schmieding bei. Zur Nedden sei als Richter in Hattingen tätig, Staarmann senior sei zu alt, Justizkommissar Jacobi sei Polizei Bürgermeister (d. h. erster Bürgermeister) in Bochum, ferner Juris-diktionsrichter in Langendreer und Neu-Kastrop, Vertreter verschiedener adeliger Häuser, er sowie Striebeck in Hattingen kümmerten sich wenig um Prozesse. Das Ministerium ließ nunmehr Schmieding zum Examen zu. Dagegen wandten sich wieder die Bochumer Anwälte, sie wiesen darauf hin, daß die Prozeß Praxis sich außerordentlich vermindert habe und die Gebühren Taxe so sehr herabgesetzt worden sei, daß es der Mühe nicht wert sei, die Prozesse zu bearbeiten. Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit kämen hier fast garnicht vor. Die Prozeßpraxis sei deshalb die einzige Beschäftigung. Aber das Ministerium lehnte ihre Beschwerde ab, der junge Anfänger Schmieding sei keine gefährliche Konkurrenz, wenn die anderen sich ihrer Klienten mit Fleiß annähmen, und ließ ihn bei der Regierung in Cleve das Justizkommissar-Examen ablegen. Aus den noch bei den Akten befindlichen Examensarbeiten ergibt sich, daß großer Wert auf die Abfassung notarieller Verträge gelegt wurde. Schmieding wurde dann durch Patent vom 10. September 1795 zum „Justizkommissarius und Notarius in Bochum“ ernannt, wobei er 10 Reichsthaler Gebühr für die Ausstellung der Urkunde an die Generalchargenkasse in Berlin entrichten mußte.

 

Soviel über den Bochumer Anwaltstand im 18. Jahrhundert. Aus seinen Advokaten hat wahrscheinlich Kortum die Figuren entnommen, welche er in seiner Lobfiade in „Charakter und Porträt der Advokaten Schluck und Schlauch“ so treffend und drastisch uns vorführt.

  

Impressum

(ohne Jahr, ca. 1928) Bochum Heimatbuch

 

Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung für Heimatkunde von B. Kleff.

 

Verlag und Druck

Schürmann & Klagge

1. Band

 

An diesem Heimatbuche arbeiteten mit:

 

Staatsanwaltschaftsrat Dr. G. Höfken

Bergassessor Dr. P. Kukuk, Privatdozent an der Universität Münster

Rektor B. Kleff, Leiter des Städtischen Museums

Redakteur A. Peddinghaus

Redakteur F. Pierenkämper

Lehrer J. Sternemann

Studienrat Dr. G. Wefelscheid

Gustav Singerhoff

Wilma Weierhorn

sämtlich in Bochum

 

Die Federzeichnungen besorgte Graphiker Ewald Forzig

die Scherenschnitte Frl. E. Marrè / die Baumphotographien Ingenieur Aug. Nihuus

den übrigen Buchschmuck Druckereileiter Erich Brockmann

sämtlich in Bochum

 

(Zitierhinweis 2012)

Bernhard Kleff, Hg.: Bochum. Ein Heimatbuch. Bochum 1925. Bochumer Heimatbuch Bd. 1