Die Geschichte des Hauses Rechen

 

Dr. Günter Höfken

 

Noch vor 50 Jahren war das weite Gelände des alten Rittersitzes Rechen mit seinem Wechsel zwischen Wald und Feld, seinen saftigen Wiesengründen und seinen idyllisch gelegenen Kotten ein beliebtes Ausflugsziel der Bochumer. Die Jugend konnte sich nicht genug tummeln an der unter alten schattigen Kastanien liegenden Gräfte, in den schönen Weiden und Wiesen, dem Rechner Busch mit dem tiefen Steinbruch und einem alten Wetterschacht, bis am Ende der Wanderung die alte Kottenwirtschaft von Weitkämper zum Spiel am Rundlauf und Schaukel anzog. Alles das verschwand mit der im Jahre 1904 begonnenen Aufteilung des Rittersitzes durch den Ankäufer, den Bauunternehmer Clemens Erlemann. Man kann nicht gerade sagen, daß der Bebauungsplan des Rechener Feldes großstädtischen Anforderungen entsprach. Aber Rechen gehörte damals noch nicht zu Bochum, es wurde erst am 1. April 1904 mit Wiemelhausen eingemeindet. So konnte es dann kommen, daß die Königsallee, anstatt an der Bahnunterführung zu beginnen, erst von der damaligen Stadtgrenze an offengelegt wurde, und repräsentative Bauten, wie die Knappschaft, in Seitenstraßen untergebracht wurden. Im Hause Rechen wurde 1905 eine Gastwirtschaft (Wirt Burgdorf) eingerichtet; nach Schaffung des Heimatmuseums bezog dieses 1921 die umgestalteten Räume, wodurch die Pflege des Heimatgedankens gewahrt blieb. Im letzten Kriege wurde auch Haus Rechen am 4. November 1944 durch Brandbomben zerstört Es hatte schon nach Errichtung des Stadttheaters, dessen Erweiterungsbau ihm sehr nahe rückte, viel von seinem alten Ansehen verloren. Die Gräfte hatte man zum größten Teil zugeschüttet, die Stallungen niedergelegt, und es war nur noch der alte Teich geblieben. Die Stadt Bochum stand jetzt vor der Entscheidung, ob sie das alte Gebäude wieder in den früheren Zustand zurückversetzen oder die Trümmer beseitigen, den Teich zuschütten und eine kleine Grünanlage schaffen sollte. Die Entscheidung hing ab von dem Zustand der Ruinen, die nicht mehr zu einem Aufbau zu verwenden waren. Der Landeskonservator von Westfalen hatte keinen Einspruch gegen einen Abbruch der Ruine erhoben, da der Bestand in baukünstlerischem Sinne zu unbedeutend sei und anheimgestellt, Haus Rechen als Ruine im Grünen zu erhalten. Es sei eine Angelegenheit der Bochumer Bevölkerung, ob sie sich einen romantischen und geschichtlichen Punkt im Häusermeer erhalten wolle. (Bochumer Anzeiger vom 19. Mai 1950.) Da Haus Rechen den Plänen des Wiederaufbaus unseres Stadttheaters im Wege stand, kam auch eine Erhaltung als Ruine nicht mehr in Frage. Ende März 1951 wurde mit der Beseitigung der Trümmer begonnen.

 

Haus Rechen war ein limburg-styrumsches Lehen, es stammte also aus dem Machtbereich der alten Grafen von Altena (Linie von Isenberg bei Hattingen), deren Güter nach der Aechtung und Hinrichtung des Friedrich von Isenberg (1226) die Limburger Linie übernahm, die sich auf Hohenlimburg eine Residenz schuf. Der älteste uns bekannte Lehnsmann von Rechen gehörte zur Adelsfamilie von Brüggeney (einem früheren Adelsitz in Stiepel). Nach dem ältesten Lehensverzeichnis) der Limburger Grafen aus der Zeit um 1350 wird als Lehnsinhaber eines Hofes in Rechen Wennemar von der Brüggeney genannt. Ein adeliger Wennemar von Rechen wird in gleichzeitigen Urkunden unserer Gegend erwähnt. Es hatte also in der Bauernschaft Rechen ein Adelsgeschlecht seinen Sitz, das sich nach der Bauernschaft nannte. Im Wappen führte es drei Balken, dasselbe Wappen wie die Brüggeney, so daß wahrscheinlich die von Rechen ein Zweig der von Brüggeney waren.

 

Das A d e l s g e s c h l e c h t v o n R e c h e n war in mehreren Generationen in Rechen ansässig; auf welchem Hofe es ursprünglich saß, wissen wir nicht. Es erhielt 1392 das Limburger Lehensgut und wird diesen alten Hof zu einem kleinen,mit einem Wassergraben umzogenen Adelssitz umgebaut haben. Von Mitgliedern der Familie von Rechen werden urkundlich genannt:

11. 6. 1321 Dietrich (Theodericus, als Zeuge in Bochum)

22. 6. 1325 Wennemar (von Rechene, Zeuge in Essen)

31. 7. 1336 Joachim (Jachim de Reggen, armiger, Zeuge in Essen)

12. 1. 1342 Wennemar (Bürge für Tilman von Hagenbeck, Oberschultheiß

des Oberhofes Nünning)

1343 Dietrich (Thidericus)

1347, 1353 Wennemar und (sein Sohn) Rudolf (Rolf)
1357 Otto
17. 6. 1370 Wennemar (Zeuge in Bochum)
3. 9. 1380 Wennemar von Rechen und Jachim Scharpwinkel

28. 9. 1389 Jachim van Rechen geheiten Scherpwynkel
1392 Johann von Rechen wird zu Limburg belehnt
3. 3. 1410 Mette, dey huysvrowe toe Rechen

 

Der Edelherr Thiedbold de Rechene, der nach einem Traditionsregister der Abtei Werden (Kötzschke, Werdener Urbare, A, S. 166) um 1150 zum Gedächtnis für einen gefallenen Sohn Thietmar dem Abt einen Hof in Schievenhövel schenkte, gehört wohl nicht zu der hier ansässigen Familie von Rechen, weil der Ort Schievenhövel zu weit von unseren Rechen entfernt liegt (er liegt im Amt Lüdinghausen). Auch die adeligen Lambert und Heribert de Rechne der Deutzer Urkunde von 1158 (Essener Beiträge Heft 55 S. 81) gehören wohl zur Familie von Reken = von der Recke. Die von Rechen gehörten auch zu der Bochum-Wattenscheider Kalandsbruderschaft, einer Vereinigung von Adeligen, Geistlichen, wohlhabenden Bauern und Städtern, deren Zweck Abhaltung geistlicher Uebungen und Wohltätigkeit war. Ihre Gründung gebt bis ins 14. Jahrhundert zurück. In dem erhaltenen ältesten Mitgliederverzeichnis – einem Pergamentkodex der kath. Kirche in Wattenscheid – werden aufgeführt Wennemar von Rechen und Stenseke (Christinchen) von Rechen mit ihrem Sohn Rudolf. Die Familie von Rechen starb anfangs des 15. Jahrhunderts aus. Die Limburger Lehnsregister sind erst für das Jahr 1445 wieder erhalten und nennen als Lehnsmann für „das hus toe Rechen“ den adeligen Johann von Galen. Der Name v o n G a 1 e n kommt zuerst im Jahre 1370 in Bochumer Urkunden vor, wo Ritter Sander (Alexander) von Galen als Amtmann des großen Amtes Bochum genannt wird. Von 1402 bis 1421 ist sein Sohn Johann ebenfalls Amtmann; wahrscheinlich hat dieser auf Haus Rechen gewohnt, er bedachte mit einer größeren Stiftung die damals schon bestehende S a k r a m e n t s k a p e l l e an der Brüderstraße in Bochum, die auf dem Gelände der Wirtschaft Withake stand, nach dem Limburger Lehnsregister wurde 1445 dessen Sohn Johann, 1485 dessen Sohn Sander mit Rechen belehnt. Letzterer (verheiratet mit Stefanie von der Recke vom Hause Kurl) vererbte das Gut auf seinen Sohn Johann (belehnt 1516), der mit Kath. von Karthuysen kinderlos vermählt war. 1531, op St. Petri avent ad vincula, setzte er seiner Frau im Falle seines Todes alle seine Güter mit Ausnahme des Kottens op der Straten in Altenbochum zur Leibzucht (Archiv Styrum). Nach seinem Tode (1543) entstanden Streitigkeiten um den Lehnsbesitz zwischen den Männern seiner beiden Schwestern, von denen die eine mit einem von Lipperheide, die jüngere Jutta mit dem Ritter J ö r g e n (Georg) S c h e 11 verheiratet war. Auf Verwendung des Landesherrn wurde dieser 1543 (op dach lucie der hilligen Jounkfrauwen) mit Haus Rechen belehnt. Er einigte sich nach längerem Rechtsstreit 1555 mit den Söhnen seiner Schwägerin von Lipperheide. Mit ihm zog der Zweig eines Adelsgeschlechts auf Haus Rechen, das zu den angesehensten unserer engeren Heimat gehörte: der Familie von Vittinghoff genannt Schell.

 

Das Geschlecht von Vittinghoff stammt wahrscheinlich von dem alten Hof Vieting in Freisenbruch, einem Besitz der Abtei Corvei an der Weser, nach deren Schutzpatron St. Vitus die Höfe der Abtei häufig Vietinghöfe genannt wurden. Ein solcher Vietinghof lag auch in Freisenbruch bei Steele, wo eine Etappenstation für die jährlichen Weintransporte der Mönche war, die von Duisburg aus über den Hellweg den Wein nach Corvei schaffen ließen (Westf. Zeitschr. Bd. 41, S. 126). Seit dem dreizehnten Jahrhundert finden wir mehrfach Vertreter der von Vietinghoff als Blankensteiner und Isenberger Burgmannen im Dienste der jeweiligen Be-sitzer dieser Burgen. Ein Vittinghoff erbaute das Haus Vittinghoff, das heute nicht mehr besteht, zwischen der Burg Neu Isenberg (heute Ruine bei der bekannten Wirtschaft „Heimliche Liebe“ in Essen-Stadtwald) und dem Dorfe Rellinghausen. Um 1300 saß auf Haus Vittinghoff Hinrich van dem Vitinchave, seine beiden Söhne Arnold und Heinrich sind die ersten Vertreter, die den Beinamen „Scheele“(Scheile) führten. Dieser Beiname in den Abwandlungen Schele, S c h e 11 wurde ein regelrechter Bestandteil des Namens des Geschlechts. Als W a p p e n b i 1 d führte das Geschlecht den links-rechten silbernen Schrägbalken, der mit drei goldenen Kugeln beladen ist, auf dem Helm einen aufgeschlagenen Turnierhut, darüber einen roten Fuchs mit einer goldenen Kugel im Maul. Der Sohn Arnold des eben genannten Arnold (Arndt) erhielt durch seine Frau Anrechte an die Burg Altendorf. Im Jahre 1386 erbteilten seine Söhne: Arndt erhielt die Rittersitze Vittinghoff und Altendorf, während Haus Bruch bei Hattingen, das auch aus der mütterlichen Erbschaft stammte, sein Bruder Dietrich erhielt. Arndt hatte zwei Söhne, von ihnen übernahm Arndt Haus Altendorf, sein Bruder Johann erbaute den R i t t e r s i t z S c h e l l e n b e r g (Haus op dem Berge), den seine Frau geerbt hatte. Von diesem Johann leitet sich die Linie von Vittinghoff genannt Schell auf Haus Schellenberg (in Essen-Rellinghausen) ab. Ihre Nachkommen wohnen heute auf Haus Kalbeck am Niederrhein.

 

Johann von Vittinghoff genannt Schell hatte drei Söhne aus zwei (oder drei) Ehen: Johann, Konrad und Berndt. Der älteste Sohn – er nannte sich nur Schell – heiratete Dorothea von Witten (aus dem Hause Rüdinghaus). Er war als Ritter mitgezogen im Gefolge des Herzogs Karl von Geldern und fiel 1502 bei der Belagerung des Ortes Horsden. Er hinterließ drei Kinder: Jürgen (Georg), Johann und Jaspara, die den Bochumer Bürger Vinzent Stodt heiratete. Jürgen Schell heiratete 1513 Jutta von Galen vom Haus Rechen. Er wohnte zuerst in Schwerte, wo er Richter (1525) war.

 

Nach dem Tode des staatlichen Rentmeisters Thewes von der Hembecke in Bochum wurde 1529 (op unser lieven fruwen abend nativitatis) J o r i e n S c h e 1 e – wie er in der Bestallungsurkunde heißt – zu seinem Nachfolger berufen. Als Mitglied des Bochumer Kirchenrates unterstützte er lebhaft den Aufbau der 1517 abgebrannten Kirche. In seinem erhaltenen Testament aus der Zeit um 1540 erzählt er uns von seinem Werde-gang. Sein Vater sei 1502 im Kriege gefallen, seine Mutter habe sich dann wiederverheiratet. Sein Stiefvater habe ihn schon früh in den Sattel gesetzt und ihn ins Oberland und Welschland geschickt, wo er fünf Jahre geblieben sei. „Darnach quam ich weder to Hus, do deden my myne Alderen durch myn begeren by enem P r i s t e r i n e i n e K l u s e , gelegen tuschen Werden und Rellinghausen, dey lerde my dit selvige Schriven und Lesen in einem halven Jahre. Do kreg ich to Rellinghusen von einem Hinrich von Ovete (Haus Öfte bei Werden), des was mynem seligen Vader to doen, 8 Gulden kurrent. Da ich von dar quam, deden mich die Alderen vort by Johann van dem Loe tom Holte (Rittersitz Holte bei Lütgendortmund), darbey was ich bis to der tyd, dat my myne Alderen bestaden (= verheirateten). Hierut folget, daß myne Alderen meynet halven geyn grote moi (Mühe) mit mynen underhalden gehabt hebben.“ Schell wurde später noch Rentmeister des Amtes Hörde. Auf ihn ist der Ausbau des Hauses Rechen in seinem uns bekannten Zustande im wesentlichen zurückzuführen. Als er nach dem Tode des letzten von Galen 1543 das Lehen antrat, war das Wohnhaus „auf einem gemauerten Grund klein begriffen mit Holz und lehmen Wänden im Dyke (Teich) gestanden, per antiquitatem (vor Alter) verfallen“. Schell erweiterte Gräben und Deiche, führte sie um das Bauhaus und die Stallung und „verwahrte alles mit groben Mauern“. Er führte also die Schutzmauer um alle Baulichkeiten, mit ihren Schießscharten, Torhaus und der Zugangsbrücke auf. In der Nähe wohnte der Verwalter, der den landwirtschaftlichen Betrieb leitete und in den Urkunden „der Schulte von Rechen“ genannt wird (so 1636 Darpe, S. 269).

 

Eine Ritterburg ist Rechen nie gewesen; es war ein besseres Bauerngut und das Haus Rechen wohl immer das Herrenhaus. Neben Haus Rechen gehörten dem von Schell mehrere Bauernhöfe, teils zu Eigentum, teils zu Lehen. So besaß er als Lehen des Stiftes Werden den Hackerthof in Wiemelhausen; der Pilgermannhof in Kirchlinde stammte aus der Erbschaft seiner Frau (1458 hatte er Johann von Galen gehört). In Altenbochum besaß er die Kotten Stodt, Buschmann und Buschdreisch. Ein alter Zehnten in Rechen und in der Bochumer Feldmark gehörte jahrhundertelang zum Haus Rechen.

 

Nach den erhaltenen Aufzeichnungen seines Sohnes Jörgen starb Schell am 28. Juli 1556, seine Frau war ihm am 30. November 1551 im Tode vorausgegangen. Von Schell hatte vier Kinder: Jürgen, Christoffer (Christoph), der mit einer von Holtei, Erbtochter des Hauses Benninghoven bei Hörde, verheiratet war und die Linie auf Benninghoven gründete, Beatrix, verheiratet seit 1544 mit Heinrich Dücker-Neiling, seit 1557 in zweiter Ehe mit Hans von Muntfort in Essen, und Jürgen. Dieser jüngere Jürgen widmete sich dem geistlichen Stande und war von 1546 bis 1582 Pastor in Bochum.

 

Der ältere, gleichnamige Bruder Jürgen Schell wurde am 9. Februar 1558 mit Haus Rechen belehnt, er war seit 1554 mit Margarete von Sevenar, Tochter des Essener Ratsherrn Dietrich von Sevenar (1525 – 1550) vermählt. In seiner Jugend war er als Student hinausgewandert nach Wittenberg und hatte dort mit Luther in näherem Verkehr gestanden. Er folgte seinem Vater im Amte als herzoglicher Rentmeister der Aemter Hörde und Unna. Er vergrößerte den Familienbesitz, gehörte dem Bochumer Kirchenrat an und war ein großer Förderer unbemittelter Talente; den Hausarmen vermachte er testamentarisch 300 Reichstaler. Er starb am 11. März 1591 zu Kleve und wurde in der dortigen Marienkirche beigesetzt. Aus seiner Ehe gingen vier Söhne und drei Töchter hervor: Jürgen (starb jung), Anna (geb. 1559, verh. 1583 mit David von der Leithen auf Haus Laer), Johann (geb. 1561), Margarete (geb. 1566, verh. 1588 mit Ludwig Philipp von Hanxlede zu Aldenwildungen), Melchior (starb jung), Christoffer, Katrin Sibille (verh. 1597 mit Bernt von Westerholt zu Neurod).

 

Dem Wunsche der Eltern entsprechend (die Mutter lebte noch 1600), übernahm Christoph das Haus Rechen, mit dem er am 15. April 1598 belehnt wurde. In diesem Jahre wurde er auch als Nachfolger seines Verwandten Georg von Dücker zum Rentmeister des Amtes Hörde vom Herzog ernannt. Im Jahre 1606 veräußerte er das von seiner Mutter ererbte Besitztum in Essen (Haus im Hagen mit Pforthaus und Scheune neben Dr.; Kumpsthoffs Haus gelegen) an die Eheleute Geralt Bercks und Elisabeth von Sevenar. Christoph trat zum lutherischen Bekenntnis über und trat für die Belange der neuen Lehre tatkräftig ein; so beschwerte er sich 1630 über die Einstellung des luth. Gottesdienstes durch die spanischen Soldaten. Verheiratet war er mit Margarete von Hatzfeld kinderlos und starb am 16. Juni 1638. Sein Bruder Johann hatte von seiner Frau Margarete von Ovelacker, mit der er seit 1583 verheiratet war, den schönen Rittersitz Goldschmieding bei Castrop als Erbgut übernommen und wohnte auch dort. Er hinterließ nur einen Sohn, Jürgen, der am 18, Oktober 1612 Anna von Lipperheide, Tochter von Caspar v. L. und Mechthild von Ovelacker auf Haus Brame, geheiratet hatte und auf Goldschmieding wohnte.

 

Wie das ganze Land, so hatten besonders die Rittersitze unter den Schrecknissen des Dreißigjährigen Krieges zu leiden. Einquartierungen und Plünderungen der spanischen und kaiserlichen Truppen waren in den Jahren 1623 bis 1630 die tägliche Abwechselung. Erst ab 1631 kamen mit dem brandenburgischen Alleinbesitz von Kleve-Mark ruhigere Tage. Aber schon 1632 zog General Pappenheim mit vier Regimentern und Ende des Jahres schwedisches Kriegsvolk durch unsere Stadt, deren Bürger das Letzte hergeben mußten für die drückenden Einquartierungen. Noch schlimmer war es auf dem Lande, wo die Bauern und Rittersitze ausgeplündert wurden. Zu der schrecklichen Kriegsplage kam noch 1635 die Pest, die Stadt und Land entvölkerte. Um der Plünderung zu entgehen, brachte man das ganze Inventar vom Hause Goldschmieding mit dem nicht unbeträchtlichen Silberschatz nach Wesel, wo es sich noch 1644 befand; damals versuchten die Erben des Jürgen Schell die zum Teil versetzten Möbel wieder einzulösen.

 

Als 1638 Christoph von Schell auf Haus Rechen starb, trat eine Bestimmung im Testamente seines Vaters in Kraft, wonach Haus Rechen an den Sohn Johann zurückfallen sollte,falls der Sohn Christoph kinderlos ver-stürbe. Nun war aber Johann seinem Bruder im Tode voraufgegangen und hatte in seinem Testament bestimmt,daß Rechen an seinen Sohn Hans Dietrich fallen sollte und dessen Bruder Georg Christoph an dem Erbe mitbeteiligt sein sollte. Hans Dietrich starb vor 1636. Es meldeten sich die Söhne des David von der Leithen auf Laer und machten Ansprüche auf Rechen geltend, die aus abgetretenen Leibzuchtrenten der Witwe des verstorbenen Christoph Schell und anderen Geldforderungen bestanden. Sie mußten aber, nachdem die Regierung am 22. April 1641 entschieden hatte, daß Rechen an Jörgen Christoph von Schell auf Goldschmieding fallen sollte, Haus Rechen, das sie 1638 besetzt hatten, wieder räumen. Ein langwieriger Prozeß um die gezogenen Nutzungen und Gegenansprüche zwischen den Familien von der Leithen und Schell war die Folge,der erst 1680 durch Vergleich beigelegt wurde. Jörgen Christoph von Schell wurde am 24. November 1651 vom Grafen von Styrum mit Rechen und dem Zehnten belehnt. Er war verheiratet seit 18. Oktober 1644 mit Anna von Düngelen, Kapitularin des adeligen Damenstiftes Elsey, Tochter von Goswin von Düngelen auf Haus Dahlhausen bei Hordel und Elisabeth von Haffkenscheid. Aus der Ehe überlebte der Sohn Konrad Johann seinen Vater, der am 25. Mai 1677 im Alter von 58 Jahren starb. Ihm folgte im Lehnsbesitz Konrad Johann, der 1681 die Kapitularin zu Elsey, Elisabeth Gertrud von Padberg, heiratete, Tochter des Ludwig Friedrich von Padberg vom Oberhaus Padberg und Anna Elisabeth von Calenberg. Aus dieser Ehe gingen acht Kinder hervor.

 

Im Jahre 1675 hatte sein Vater Jörgen Christoffer Schell der märkischen Ritterschaft sein Wappen und eine Ahnentafel seines Geschlechts vorgelegt. Er wollte damit – wie seine Voreltern – in die Ritterschaft aufge-nommen werden. Diese hatte im Jahre 1648 auf dem Generallandtage in Wesel beschlossen, daß nur solche Personen in ihre Reihen aufgenommen werden könnten und so ritterbürtig seien, die mit je vier Ahnen väter-licher und mütterlicher Seite ihren Adel nachweisen konnten (also Ahnenprobe bis zu den Urgroßeltern). Im Landtag bemängelten „die Stände aus Ritterschaft“ nun bei dem Ahnennachweis, daß die von Schell sich nicht „von Vittinghoff genannt Schell“, sondern einfach Schell nannten, und wollten die Ursache dieser Namensführung wissen; ferner sollte nachgewiesen werden, daß auch Johann von Schell (der Großvater) von mütterlicher Seite von „gutem Wappen“ sei. Von Schell legte nun Urkunden vor aus dem Jahre 1368, wonach schon damals der Name Schell allein gebraucht worden sei (Arndt Schell bekennt, dem Kloster Klarenberg 40 Mark schuldig zu sein), es sei auch sonst üblich gewesen, daß man im Adel sich Abkürzungen des Namens bedient habe, so hätten sich die von Grimberg genannt von Aldenbockum einfach nur von Aldenbockum, die von Dorneburg genannt Aschebrock nur mit letzterem Namen genannt. Seine Großmutter sei eine geborene von Sevenar aus Essen, ihr Vater sei Dietrich von Sevenar, ihre Mutter Brigitte von Osterwick gewesen, sie entstamme einem alten adeligen Geschlecht von Sevenar, das im Fürstentum Geldern ansässig sei, worüber von Schell eine Bescheinigung der Ritterschaft von Geldern vom 22. September 1643 beibrachte. Die prüfende Deputation der Ritterschaft zog aber die Aufnahme des von Schell in die Länge, sie wandte sich zunächst an den Herrn Melchior von Vittinghoff gen. Schell auf Haus Schellenberg (bei Essen-Rellinghausen) und bat ihn um Unterlagen aus seinem Archiv über die Ritterbürtigkeit des Rentmeisters Jürgen (von) Schell, der 1513 Jutta von Galen, Erbtochter von Haus Rechen, geheiratet hatte. Der Bruder des Adressaten, der Domherr Wilhelm Franz von Vittinghoff gen. Schell in Paderborn, der das Schellenbergsche Archiv genau kannte, teilte nun am 2. Dezember 1676 mit, daß er in seinen alten Urkunden keine verwandtschaftlichen Beziehungen der von Schell mit seinen Ahnen finden könne. Er legte eine Teilungsurkunde vom 14. Oktober 1432 vor, wonach zwischen den Brüdern Arnold und Johann van dem Vytinchove genannt die Schele die elterlichen Güter geteilt worden seien, und zwar habe Johann das Haus Vittinghoff übernommen (von dieser Linie stamme er, der Briefschreiber) und Arnold habe Haus Altendorf geerbt; ob von dieser Linie Jörgen Schell, der Rentmeister, stamme, wisse er nicht.

 

Nun begann ein Kampf des Johann Konrad von Schell auf Haus Rechen um die Adeligkeit seines Ahnherrn Jörgen Schell. Immer wieder wurde von dem Paderborner Domherrn in langen Eingaben an die märkische Ritterschaft die Verwandtschaft zwischen den adeligen (von) Schells auf Rechen und denen auf Haus Schellenberg bestritten. Der Rechener hatte es schwer, aus seinem Archiv Unterlagen beizubringen für Vorgänge, die 200 Jahre zurücklagen. Er wies aber nach, daß der Vater des Jörgen Schell Johann Schell gewesen sei, dieser sei mit einer von Witten verheiratet gewesen. Diese habe, nachdem ihr Mann 1502 im Kriege gefallen sei, einen von Bentheim geheiratet, ihr Sohn Friedrich von Bentheim habe noch 1557 aus Livland an den Magistrat in Dortmund geschrieben. Daß die Frau des Johann Schell mehrfach verheiratet gewesen sei, gehe aus dem Testament (um 1540) ihres Sohnes Jörgen hervor, worin es hieße:

wir sind twe Hande Kinder van ener Moder und van tween Vadern, alle echte und rechte geboren. Johann von Schell müsse der Bruder von Konrad und Berndt von Vittinghoff genannt Schell von der Linie Schellenberg gewesen sein. Wenn diese sich am Donnerstag nach Invocavit domini 1477 in die elterlichen Güter (die sie schon mit Uebertragsvertrag vom 18. Januar 1469 erhalten hatten) geteilt hätten – ohne Johann zu bedenken – , so könne es nur daran liegen, daß dieser aus einer früheren Ehe seines Vaters gestammt und mit dem väterlichen Erbteil bei dessen zweiter Ehe mit Hille (Nachname nicht bekannt, vielleicht eine von Loe) abgefunden worden sei.

Der Domherr in Paderborn bestritt diese Zusammenhänge, er wies darauf hin, daß es in Essen eine Bastardlinie Schell gebe, die das adelige Schellsche Wappen an Fenstern und Holzgebälk ihres Hauses angebracht habe, einer von ihnen sei Obristleutnant, ein anderer Hauptmann gewesen. Solle man da nicht annehmen, daß die von Schell auf Rechen einer unehelichen Linie entstammen? Früher sei zum Landtag jeder Besitzer eines Rittergutes zugelassen worden, die adelige Abstammung sei damals nicht weiter geprüft worden. Demgegenüber machte Schell auf Haus Rechen durch eine große Anzahl von urkundlichen Beweisen geltend, daß seine Familie seit 150 Jahren nachweislich zu den Tagungen der Ritterschaft eingeladen worden sei. Auf Haus Rechen befinde sich auf der Saalkammer eine große alte Bettstelle, auf der Jürgen Schell und seine Frau geborene von Sevenar ihre acht Wappen angebracht hätten: Galen, Schell, Sevenar, Osterwick, Recke, Witten, Dinsing, Fridag gen. Rinsch. Auch finde man das von Wittensche Wappen zweimal auf Haus Goldschmieding angebracht.

 

Der Syndikus der märkischen Ritterschaft Dr. jur. Heinrich Huberti in Dortmund sammelte alle diese langatmigen, umständlichen und von versteckten Anspielungen und Beleidigungen wimmelnden Eingaben; die Ritterschaft setzte eine Deputation ein, endlose Beratungen folgten. Man kam nicht vom Flecke, immer wieder verzögerte man die Anerkennung des von Schell als ritterbürtigen Adeligen. Schließlich, riß diesem die Geduld. Er wandte sich im Jahre 1685 an seinen Landesherrn, den Kurfürsten von Brandenburg, mit einer Beschwerde über das Verhalten der märkischen Ritterschaft und tat, „daß meine Sache in den Ritterstuben ohne passioniert und unparteiisch schleunigst, wie bisher bräuchlich, decidieret werde und sie meiner Sache längst gewünschete Endschaft befördern sollen und mögen“. Die Regierung gab nun mit Erlaß vom 11. August 1686 den „wolgeborenen Herrn Ritterbürtige und Stände der Grafschaft Mark“ auf, „den Supplicanten mit keinem unnötigen Beweis seiner Ahnen zu beschwehren, sondern dieselbe Sache entweder selbst oder per Deputatos auch gebotenermaßen mit Zuziehung weniger unparteiischer Rechtsgelehrten der Observantz und Billigkeit nach schleunigst und mit Abschneidung aller Weitlaufigkeiten zu decidiren“‚ andernfalls werde der Kurfürst selbst die Sache verabschieden.

 

Auf diesen Befehl entschloß sich die Ritterschaft, die Sache einer unparteiischen evangelischen Stelle zur Entscheidung vorzulegen. Im August 1687 „inrotulierte“ man die Akten, d. h. man versiegelte sie, und schickte einen dicken Folianten von 415 Blättern an den Domdechanten des hohen Stiftes zu Magdeburg mit der Bitte um Gutachten und Entscheidung. Diese erging im Namen des Domkapitels am 3. Juni 1689, unterschrieben von dem Domdechanten Levin Joachim Freiherrn von der Schulenburg und verfertigt von zwei Rechtsgelehrten. Das Urteil gab von Schell auf Rechen recht, erklärte ihn ritterbürtig, „ihm sei Session und Stimme auf Landtagen und ritterlichen Conventen gleich anderen Ritterbürtigen verstattet“‚ ließ aber die Frage nach der Verwandtschaft mit der Linie auf Haus Schellenberg offen. Fast zwei Jahre lang ließ die Ritterschaft diese Entscheidung unveröffentlicht liegen, endlich, am 12. Januar 1691, wurde sie auf Mahnung des von Schell ihm abschriftlich mitgeteilt. Am 19. Januar 1691 wurde er zur Ritterschaft auf mehrstimmigen Beschluß zugelassen, aber nochmals bedurfte es seiner Vorstellung bei dem Kurfürsten, bis die Ritterschaft sich auch bequemte, von Schell „ohne alle Bedingungen zu den Landtagen einzuladen“. Infolge aller Aufregungen wurde er anläßlich einer Beschwerde, die er der Regierung in Kleve vortrug, krank und am 9. März 1695 von einem Schlaganfall getroffen. Er starb am 12. März; die Witwe wandte sich nun in einer Eingabe an den Kurfürsten, durch die verhinderte Aufschwörung ihres verstorbenen Mannes zur Ritterschaft befürchte sie, daß ihre acht unmündigen Kinder – der älteste Sohn sei erst 9 Jahre alt – in ihrem Fortkommen, insbesondere bei der Aufnahme in adelige Schulen und Stifte, behindert würden, sie bitte um sein Eingreifen. Der Kurfürst entschied am 19. Oktober 1695, daß die Kinder keinen Nachteil durch den Tod ihres Vaters haben dürften und „überall gleich anderen ritterbürtigen behandelt und tractiret werden sollen und dürfen des Falls zu schützen sein“. Damit schließen diese Akten des Schellschen Archivs auf Haus Rechen, die sich jetzt mit der Aufschrift ‚vollkommener conscribierter Qualifications Verfolg des Herrn Conradt Johann von Schell zu Rechen und Goltschmeding, verhandelt vor der hochlöblichen Ritterschaft der Grafschaft Mark 1675 – 95“, in unserem Stadtarchiv befinden. Ein gleicher Aktenband mit vielen genealogischen Nachweisen befindet sich im Archiv Rechen (Akten 76). Es ging ein Streit zu Ende, der jahrelang die Märkische Ritterschaft auf ihren Tagungen beschäftigt und großes Aufsehen in den Kreisen des Adels erregt hatte. Veranlasser des ganzen Streites war lediglich der Domherr v. Vittinghoff gewesen – „der diesem Feuer das Holtz zu werffen tut und zwar gegen seines Vatters und Bruders Erklärungen ohne einige Ursache mit verkleinerlichen Anwurffen, woraus nicht allein großer Haß gestiftet ist, sondern wohl Morde und Todtschläge entstehen können, die auf seine Seele kommen werden“; während der Domherr schließlich schrieb: „ich kann ihm danach gern gönnen, daß er ein solcher reputierlicher von Adel sey, wan er sein Adeltum nur ex nostra legitima et incorrupta familia nicht deducieren will, dan in dem kann ich demselben contra veritatem nicht flattieren, sondern muß ihm das Widerteil halten“.

 

Auch in der neueren Heimatliteratur war bisher die Abstammung der von Schell auf Haus Rechen nicht geklärt. Von Steinen, Westf. Geschichte III S. 209 gibt als Vater des Johann Schell (Gemahlin N. von Witten) Robert Schell, Roberts Sohn an, der zweimal vermählt gewesen sei (1. mit Gertrud von Northausen, davon Sohn Johann, 2. mit N. von Lohe, davon kein Kind). Der Rufname Robert kommt bei den von Schell, Altendorfer Linie, vor; Robert, Sohn Arnts, war um 1500 Herr auf Altendorf.; Um die Rechener von Schells an die Altendorfer anzuschließen, fehlen aber die genealogischen Zusammenhänge. Der Essener Sippenforscher von de Loo, der in seinem Buche „Heimatbuch der Gemeinde Altendorf“ (1939) auf die Zusammenhänge zwischen den Altendorfer und Schellenberger von Vietinghoff genannt Schell eingeht, behauptet, der Rentmeister Jörgen von Schell stamme von Johann von Vittinghoff auf Haus Homberg (bei Hattingen) ab, was aber nach dem obigen urkundlichen Vorbringen des Joh. Konrad v. Schell nicht stimmen kann.

 

Am 14. Dezember 1695 wurde Friedrich Christoph, ältester Sohn des Konrad Johann, mit Rechen belehnt, der Moritz Wilhelm, jüngere Sohn, erhielt Haus Goldschmieding; zwei Schwestern traten im Alter von 14 Jahren in das adelige Stift Elsey ein. Friedrich Christoph war mit Maria Elisabeth von Düngelen, Tochter von Johann Moritz v. D. und Gudula Johanna von Hugenpoth, verheiratet, er starb am 13. Dezember 1751. Sein einziger Sohn Goswin Ludwig war als Fähnrich im Alter von 20 Jahren am 17. Oktober 1749 gestorben, seine Tochter Sofie hatte den Chirurgen Paul Dietrich Schultze geheiratet und wohnte auf Rechen. Da kein männlicher Nachkomme vorhanden war, kam es zu einem Streit um das Lehen Rechen zwischen dem jüngsten Bruder Konrad Johann des zuletzt Verstorbenen und dem Sohn des älteren Bruders Moritz Wilhelm, einem Leutnant, Heinrich Wilhelm Moritz, der mit Sofie Waldmann aus Wesel vermählt war. Dieser wurde auch am 2. Mai 1752 belehnt. Als er 1755 (bis dahin stand er als Leutnant in der Garnison Wesel) Rechen übernehmen wollte, einigte er sich mit seinem jüngeren Bruder Jobst Konrad Friedrich dahin, daß dieser Rechen übernahm und er selbst Haus Goldschmieding behielt. Dieser Erbvergleich vom 7. März 1755 wurde aber vom Lehnsherrn auf Styrum nicht anerkannt, und erst nach längerem Prozeßverfahren erhielt Jobst Konrad Friedrich, der später preußischer Obristwachtmeister war, im Jahre 1766 die Belehnung mit Rechen.

 

Er baute Haus Rechen um in seinen letzten Zustand, verputzte die alte, aus Bruchsteinen aufgeführte Fassade und brachte über der Eingangstür die Initialen seines Namens mit der Jahreszahl 1772 an. Nach seinem kinderlosen Tode (1809) fiel die Besitzung kraft Testaments an seinen Neffen Johann Karl Adolf von Schell (geb. 4. Februar 1767), einen preußischen Hauptmann, der Rechen bis zu seinem Tode (12. Dezember 1835) bewohnte. Verheiratet war er mit Wilhelmine von Schele (gest. Wesel 1842). Am 18. November 1833 verkaufte er den Rittersitz Goldschmieding an Friedrich Klönne (später gehörte er der Familie Dr. Müller-Klönne). Als während der bergisch-französischen Zeit, in der seit 1812 von Schell dem Bochumer Municipalrat angehörte, das Dekret erging, daß alle Friedhöfe außerhalb der Ortschaften verlegt werden mußten, begann man auch in Bochum mit der Anlegung eines Friedhofes, wozu die Stadt die Armengärten an der Wittener Straße nahm. Von Schell legte nun mit Erlaubnis des Präfekten von Romberg in Dortmund für seine Familie eine eigene Begräbnisstätte auf einem kleinen Waldstück seiner Besitzung an und brachte auch die Grabplatten der Vorfahren seines Geschlechts aus der Pauluskirche auf diesem Friedhof unter. Eine große Grabplatte mit der beschädigten und nicht mehr vollständigen Umschrift: „Johann Carl Adolph von Schell zu Rechen und Goldschmeding. . . stein bei Erbauung diesen Gottesacker Anno 1812“, weist auf die Anlage des Friedhofes hin. Dieser Friedhof wurde hundert Jahre später bei Errichtung der Melanchthonkirche in den Vorgarten des Pfarrhauses einbezogen und die vorhandenen Grabsteine in würdiger Form an der Südseite der Kirche aufgestellt.

 

Sein Sohn, der Leutnant Anton Heinrich F r i e d r i c h v o n S c h e l l (geb. 1. Juli 1810), vermählt mit Aug. Doroth. von Gillhausen (gest. Brohl am Rh. 29. Mai 1884), erbte Haus Rechen und setzte sich mit seinen fünf Geschwistern 1837 auseinander. Er übernahm im Jahre 1844 als Amtmann die Verwaltung des großen Amtes Bochum. Als Premierleutnant und Kompanieführer der 5. Kompanie Landw.-Rgt. 16, zu welchem die Bochumer Mannschaften gehörten, nahm er an der Bekämpfung des Iserlohner Aufstandes am 9. und 10. Mai 1849 teil (sein Bericht in Beilage zu Nr. 38 des Märkischen Sprechers Bochum 1849, Mai 12.). Dann zog er zur Bekämpfung des badischen Aufstandes aus, das 2. Bataillon nahm im Juni an den Gefechten von Waghäusel und Durlach teil, in welchem von Schell fiel. Er hinterließ eine Witwe und acht minderjährige Kinder, darunter drei Söhne. Der älteste, 0 t t o (geb. Münster 4. Oktober 1835), schlug die militärische Laufbahn ein. Er wurde bei der Erbauseinandersetzung im Jahre 1857 alleiniger Eigentümer von Haus Rechen. Zuletzt lebte er als General in Hannover (gest. 16. Oktober 1902). Sein Sohn Karl, Hauptmann in Berlin, veräußerte am 29. März 1904 den Rittersitz an den Bauunternehmer Clemens Erlemann. Seitdem die Familie von Schell von Rechen verzogen war, hatte ein Pächter den landwirtschaftlichen Betrieb versorgt. Das Archiv des Hauses Rechen wurde nach 1900 von der Familie von Schell dem Staatsarchiv Münster zur Aufbewahrung übergeben. Es wurde dort sorgfältig gesichtet und geordnet und steht mit rund 300 Urkunden und ebenso vielen Aktenstücken der Erforschung der Bochumer Heimatgeschichte zur Verfügung. Bisher wurde es nicht ausgewertet, auch Darpe hat es nicht benutzt. Es enthält u. a. wichtiges Material zur Geschichte zahlreicher Bauernhöfe.

 

Als im Jahre 1810 die Grundsteuer eingeführt wurde und eine Katastrierung des Grundbesitzes erfolgte, wurde die Größe des Rittersitzes mit 302 Morgen, 185 Ruten (der Morgen zu 208 Ruten gemessen) angegeben, und zwar entfielen auf Haus- und Hofplätze 3 Morgen 145 Ruten, auf Gärten 4 M. 200 R., auf Aecker 119 M. 43 R., auf Wiesen 10 M. 5 R., auf junges Eichenholz 9 M., auf Schlagholz 140 M. 2 R. Zum Rittergut gehörten 8 Kotten, die im Laufe der Zeit rings um den Rechener Busch eingerichtet worden waren, an die Familie von Schell jährlich Naturalabgaben leisteten und mit wöchentlichen Diensten in der Wirtschaft des Rittergutes helfen mußten. Es waren dies die Kotten Flohr (das Gebäude stand auf Parz. I 17/1 des alten Katasters Wiemelhausen), Güstenberg (Flur I 40), Wahl (Flur I 11)1 Detmar Abendroth an der Farnstraße (I 50), Knoop – an der heutigen Friederikastraße – (I 138), Stratmann (I 139), Weitkämper (I 160), Heinrich Flasche (I 171). Zu Haus Rechen gehörten auch eine Kornmühle (die D i e b e r g s m ü h 1 e – Ehrenfeldstraße 77) und eine 0 e 1 m ü h 1 e – auf dem Gelände der heutigen Weiherstraße –, beide mit je einem Mühlenteich.

 

Verfolgt man die wirtschaftliche Lage der von Schell durch die Jahrhunderte,so muß man sagen, daß die beiden Rentmeister von Schell, Vater und Sohn, im 16. Jahrhundert die Grundlage des Familienbesitzes geschaffen hatten. Im darauffolgenden Jahrhundert erfolgt keine Vermehrung mehr, im Gegenteil, durch die kriegerischen Notzeiten, Erbauseinandersetzungen und Ausstattung der Kinder war man immer zur sparsamen Wirtschaftsführung gezwungen. Mit dem Aufkommen eines stehenden Heeres in Brandenburg-Preußen traten die Söhne des Landadels in den Militärdienst ein, während die unverheiratet gebliebenen Töchter nach einer Pfründe in einem adeligen Damenstift Umschau hielten. So finden wir auch seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in jeder Generation Mitglieder der Familie von Schell in Offizierstellungen.

 

Ueber den Grundbesitz der Familie von Schell um 1680 unterrichtet ein (nicht vollständiges) Verzeichnis aus der Zeit um 1680, das sich im Archiv Haus Laer befindet und folgende Höfe anführt:

 

  1. C ö p p e n c a s t r o p (Hof in Gerthe, heute Oberhöffken) gibt jährlichs 40 ½ Malter duplicis ( = halb Gerste, halb Roggen), 5 ½ Malter Hafer, 3 Schuldschweine, 2 Gänse, 10 Hühner ½ Pf. Pfeffer, ½ Genfer (Ingwer), 50 Eier, 10 Pf. Flachs, wöchentlichen Pferdedienst, 2 Rinder auszufüttern (im Winter).

 

  1. R a u t m a n n (Kotten Rotmann in Gerthe) gibt 5 Malter duplicis, 9 Hühner, 50 Eier, zu 7 ½ Stüber wöchentlichen Leibdienst.

 

  1. V o e s t e (Kotten Förste in Harpen) gibt 6 Scheffel duplicis, 2 Scheffel Hafer, 6 Hühner, 20 Eier, wöchentlichen Leibdienst.

 

4. M ö l l e r o d e r F r a c k m a n n , 1 Malter duplicis, 6 Hühner, wöchentlichen Leibdienst.

 

  1. S t r ä t l i n g (Kotten in Altenbochum) gibt 3 Malter l ½ Scheffel duplicis, 1 Goldgulden Hofgeld, 9

Hühner, wöchentlichen Leibdienst.

 

6. S a n d e r (Kotten in Altenbochum) gibt 3 Scheffel duplicis, 2 Hühner.

 

  1. R o m b e r g (am Neiling; Kotten in Stiepel) gibt 7 Malter Hafer, 1 Schuldschein.

 

  1. B a c k w i n k e l (Kotten in Wiemelhausen) gibt 1 Gulden zu 24 Albus (zu 18 Stübern), 3 Hühner, 3

Scheffel triplicis (also je 1 Scheffel Hafer, Gerste, Roggen) wöchentlichen Leibdienst.

 

  1. K a l t h o f f gibt 5 Malter duplicis, 3 Malter Hafer, 7 Hühner, 1 Rtlr. Hofgeld, 3 Mähdienste.

 

  1. S o n n t a g gibt 5 ½ Malter Gerste, 4 Gänse, 9 Hühner, 1 Rtlr. Hofgeld, wöchentlichen Leibdienst.

 

11. P i l g e r (Hof in Kirchlinde) gibt 1 Malter duplicis, 3 Scheffel Hafer, 2 Hühner, 2 Gänse, Wochendienste.

 

12. G r o ß W i 1 m gibt 6 Scheffel Gerste, 2 Scheffel Hafer, 6 Hühner, 15 Stüber Hofgeld, Wochendienste.

 

13. A b s a l o n N o e t t e gibt 2 Scheffel Gerste, wann die Vöde nicht liegt, 2 Scheffel Hafer, 4 Gänse, 6

Hühner, 4 Mühldienste.

 

14. O t t o z u O b e r c a s t r o p 2 Scheffel Roggen, 3 Scheffel Gerste, 1 Gans, 2 Hühner, zu 14 Tagen einen

Leibdienst.

 

15. S c h n e t t e l k e r gibt 6 Scheffel Gerste.

 

16. S t e f f e n z u B ö r n i g ist schuldig 100 Reichstaler, dafür tut er jährlich 2 Rtlr. und wöchentlich einen

Handdienst bis zur Wiederlöse.

 

17. der Zehnte zu Westhofen.

 

18. W i t h e g g e gibt 5 Malter duplicis, 1 Malter Hafer, 1 Schuldschwein, 10 Hühner, 6 Pf. Flachs, 2

Holzfuhren nach Essen.

 

  1. C 1 a u s i m Ha g g e n 3 Malter duplicis, 1 Malter Hafer, 1 Reichstaler Dienstgeld, 6 Hühner, 4 Gänse, 1

Schuldschwein, 6 Pf. Flacks.

 

20. S t i n n e i n H a g g e n gibt jährlich 1¼ Rtlr.

 

  1. H a c k e r t (Hof in Wiemelhausen) gibt die dritte Garbe, 8 Hühner, 2 Gänse, 2 Schuldschweine, 6 Pf.

Flacks, 1 Pf. Genfer (Ingwer), wöchentlich mit Pferden zu dienen. Ist ein Lehngut.

 

  1. D e n n i s (Hof in Rechen) gibt die dritte Garbe, wöchentlich einen Pferdedienst, 1 Schuldschwein, haben

55 Rtlr. zum Gewinn zu geben gelobt, auf dem Hof stehen 310 Rtlr. verschriebene Schulden als Wohring

(von Worringen) mit 130, Witgenstein mit 100 und Brunstein mit 80 Rtlr., wovon Land und Wiesen

unterhaben.

 

  1. H o n s c h e i d (Hof in Rechen) gibt jährlich 10 Malter harten Korns, 6 Malter Hafer, 2 Schuldschweine,

10 Pf Flachs, 1 ½ Pf. Pfeffer oder Genfer (Ingwer), 60 Eier, einen fetten Hammel oder Kalb zu 30 Stüber, 10

Hühner, die Wochendienste, auf den Hof sind verschrieben von Christoffer v. Schell 333 Rtlr. noch von

Jörgen Christoffer 50, noch von jetzigem Herrn von Schell wegen der von Leithen 160 Rtlr.

24. F r i s c h e zu Altenbochum muß jährlich geben 10 Scheffel duplicis.

25. F e l t m a n zu Holsterhausen (Abgaben nicht genannt).

26. V e u m a n vom Dreverlande (Abgaben nicht angeführt).

  1. Der Langendreersche zwölfte Teil bringt wenig ein, so ungefähr jährlich ausmachet 10 Rtlr.

 

Dieses Verzeichnis muß gegen 1690 aufgestellt worden sein, es fehlen nämlich der Siepmannhof in Günnigfeld, der Diekampkotten in Wiemelhausen, der Hof in der Brunnenbecke (genannt Klemthof) im Amte Hörde, der Hof Henrich zur Nedden (Nierhof in Altenbochum), das Hovener Gut in Brakel, die 1645 bei Aufteilung der Erbschaft die beiden Schwestern Anna (Frau von Omphal) und Sibilla (spätere Frau des Obristleutnants Franz von Goy zu Erlenkamp) erhalten hatten. 1686, am 31. August, verkaufte Konrad Johann von Schell seinem Vetter Konrad Jakob von Omphal den Hackerthof in Wiemelhausen, die verpachteten Ländereien des Blankensteinhofes, die er in Pfandschaft hatte, den Backwinkelkotten und die Fischteiche des Hauses Rechen (Urk. im Archiv Haus Laer).

 

Haus Rechen war ein Lehnsgut, N a p o 1 e o n hob das veraltete Lehnsverhältnis durch Dekret vom 11. Januar 1809 für das Großherzogtum Berg, zu dem damals Bochum gehörte, auf. Das preußische Gesetz vom 21. April 1825 billigte den ehemaligen Lehnsherren eine billige Entschädigung für die Allodifikation des Lehns zu durch einen Zins von 1 % des jährlichen Reinertrages seit 1809. Der Reinertrag wurde für den ganzen Grundbesitz der Familie von Schell 1809 auf 1188 Reichstaler 25 Silbergroschen geschätzt, davon entfielen auf Rechen selbst 597 Reichstaler. Damals gehörten den von Schells außer Rechen mit seinen 8 Kotten noch die Höfe Denis, Schreier, Brandscheid, Hünnbeck, Knoop. Nach langen Verhandlungen einigte man sich mit dem Rechtsnachfolger der Herrschaft Limburg-Styrum auf einen Allodifikationszins von 350 pr. Taler. Jetzt endlich konnte von Schell frei über Haus Rechen verfügen und brauchte nicht mehr die lehnsherrliche Genehmigung einzuholen, wenn er eine Hypothek aufnehmen wollte. Das letzte Mal hatte er diesen Schritt tun müssen, als er im Jahre 1769 von seinem Kornmüller Diedr. Henr. Möller und seiner Frau Kath. geb. Kersting 1358 Reichstaler Darlehn hypothekarisch aufnahm und der Lehnsherr seine Genehmigung an die Bedingung knüpfte, daß er das Darlehn innerhalb von 14 Jahren abtragen müsse.

 

Als durch die Ausdehnung der Stadt Bochum die Erschließung des Rittersitzes zur Notwendigkeit geworden war, stellte dieser ein wertvolles Baugelände dar. In großzügiger Weise suchte der neue Besitzer E r 1 e m a n n durch kostenlose Hergabe von Grundstücken an die Kirchengemeinden, die Knappschaft und die Stadt die schnelle Besiedlung des durch Straßen aufgeteilten Geländes zu fördern. So entstand in den letzten 50 Jahren der

Stadtteil Ehrenfeld mit seinem schönen Südpark. Die alten Kottenhäuser verschwanden auch allmählich aus dem Stadtbild, und nichts erinnert mehr an die vergangenen Zeiten als die alten Grabsteine im Schutze der Melanchthonkirche.

 

Zum Schluß noch einige Ausführungen über die E r s c h l i e ß u n g d e s S t a d t t e i l s E h r e n f e l d d u r c h d e n B a u u n t e r n e h m e r C 1 e m e n s E r 1 e m a n n. Das Bochumer Stadtgebiet hatte nach Süden hin eine ungünstige Grenze. Die Gemeinde Wiemelhausen und mit ihr der geschlossene Komplex des Rittergutes Rechen standen einer Ausdehnung der Stadt in südlicher Richtung sehr im Wege. Die Gemeinde Wiemelhausen reichte bis an die Zechenbahn nach der Zeche Friederika, und auch der Hauptbahnhof lag nahe an der Stadtgrenze. Die Eisenhütte Westfalia ist z. B. auf ursprünglich von Schellschem Boden errichtet. Die Familie von Schell stand lange Jahre einem Verkauf von Teilen ihres Besitzes ablehnend gegenüber. Ende der 90er Jahre fand sich ein wagemutiger Unternehmer in der Person des Bauunternehmers Clemens Erlemann, der sich durch Ausführung zahlreicher größerer Bauten einen Namen gemacht hatte. Nach langwierigen Verhandlungen verkaufte ihm der General von Schell das Gelände zwischen der Reichsbahnlinie, der Zechenbahn und der heutigen Oskar-Hoffmann-Straße, die damals noch Grünerweg hieß, durch Vertrag vom 28. März 1898 (Auflassung am 5. Juli 1899) für 772 050 Mark,wobei die Rute mit 150 Mark bewertet wurde. 60 000 Mark wurden angezahlt, der Restbetrag hypothekarisch sichergestellt und allmählich mit dem Weiterverkauf des parzellierten Geländes zurückgezahlt. So entstanden mit Hilfe zweier Bau- und Terraingesellschaften die Straßenzüge und Wohnblocks an der Kronen-, Westfälischen und Jägerstraße. Da das ganze Unternehmen sich gut anließ, versuchte Erlemann nach dem 1902 erfolgten Tode des von Schell mit seinem Sohne Karl, der seine beiden Schwestern mit ihrem Erbteil abfand, weiter in Kaufverhandlungen zu kommen. Diesen etappenweisen Ankauf von Rechen muß man im Auge behalten, wenn heute geklagt wird, daß seinerzeit für die Verbindung der Königsallee mit der Stadt nicht eine glücklichere Lösung gefunden wurde.

 

Der neue Besitzer Karl von Schell hatte Verständnis für die Bedürfnisse der Stadt Bochum und erkannte, daß sich das Festhalten am Gute auf die Dauer nicht durchführen lassen werde. So lehnte er den Vorschlag Erle-manns, den ganzen Besitz an ihn zu verkaufen, nicht ab, zumal er sich mit dem Gedanken trug, mit dem Erlös sich in Schlesien wieder anzukaufen. Am 23. Februar 1904 kam in Berlin ein notarieller Kaufvertrag über das Restgut Rechen zustande. Während es sich bei dem ersten Erwerb im Jahre 1898 um rund 30 Morgen Land gehandelt hatte, waren es jetzt 350 Morgen zum Kaufpreise von 2 ½ Millionen Mark, wovon 1 Million bei der Auflassung in bar bezahlt wurde. Die Finanzierung hatte die Märkische Bank (Bankdirektor Lauffs) übernommen, sie gab auch einen sofortigen Kredit für den Straßenbau in Höhe von 30 000 Mark.

 

Das Abkommen über die Aufschließung des ganzen Geländes im Rahmen des durch Landmesser Gerbens entworfenen Bebauungsplans wurde noch mit der Gemeinde Wiemelhausen am 16. März 1904 abgeschlossen, da ihr Gemeinde Vorsteher Wilhelm Schulte-Ostermann den größten Wert auf schnellen Fortgang der Arbeiten legte. Im Februar 1904 begann man mit der Durchlegung der Königsallee und der Niederlegung des kleinen Kiefernwäldchens, das sich an der Stelle befand, wo später das Parkhotel Rechen und der Wohnblock des Beamtenwohnungsvereins errichtet wurden. Für das Baugelände bekundete sich sofort lebhaftes Interesse, zumal Erlemann alles tat, um Baulustige heranzuziehen. So stellte er der Stadt Bochum, die nach Abänderung des eben genannten Abkommens am 26. Januar 1906 ihre Zustimmung zur Aufschließung des Geländes gab, die Bürgersteige der zahlreichen Straßen kostenlos zur Verfügung. Den beiden Kirchengemeinden schenkte er den Grund und Boden für Kirche und Pfarrhaus, wobei er zur Bedingung machte, daß die alten Grabsteine des von Schellschen Erbbegräbnisses in oder bei der zu errichtenden evangelischen Kirche würdig untergebracht würden. Dann setzte er sich mit allem Nachdruck dafür ein, daß das neue Verwaltungsgebäude des Allg. Knappschaftsvereins im Ehrenfeld erbaut würde, und gab hierfür kostenlos das Baugelände her, um zu verhindern, daß diese große Körperschaft von Bochum abwanderte und in einer der Nachbarstädte, die auch ihre Angebote gemacht hatten, ihr neues Verwaltungsgebäude errichtete. In seiner Vorsorge für die kulturellen Bedürfnisse faßte er den Entschluß, einen Theaterbau aufzuführen. Es wurde die Apollo-Theater-Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 600 000 Mark gegründet. Das Varieté-Theater wurde am 10. September 1908 am Standort des heutigen Stadttheaters eröffnet. Indes nicht lange währten die Darbietungen, im März. 1909 ging das Theater in Konkurs, das Gebäude verkaufte der Konkursverwalter an Frau Erlemann, ihr Mann betrieb dann das Theater bis 1912 selbst, wo es nach einem Umbau die Stadt übernehmen wollte, um darin das Stadttheater zu eröffnen. Der halbfertige Umbau kam aber zur Zwangsversteigerung, wobei die Städtische Sparkasse Meistbietende blieb und die Stadt in ihre Rechte eintrat. Sie ließ das Gebäude durch den Kölner Architekten Moritz ausbauen, im zweiten Kriegsjahr, 1915, konnten die Theatervorstellungen beginnen. Inzwischen hatte Erlemann aus finanziellen Gründen – er will durch den Theaterbau 1 ½ Millionen Mark verloren haben und hatte dauernde Unstimmigkeiten mit der Geld gebenden Märkischen Bank – 1911 seine gesamten Liegenschaften (außer dem Theater und dem Baugelände an der Hunscheidtstraße) in andere Hände gegeben. Es war eine Hamburger Nachlaßverwaltung – das Testament Zollischeck –, die in Bochum eine Geldanlage suchte und den ganzen Erlemannschen Besitz unter Uebernahme der Schulden für rund 2 Millionen Mark erwarb. Die Testamentsverwaltung hatte bis 1928 im wesentlichen alle Liegenschaften verkauft. Der Rechensche Busch war schon früher an die Stadt übergegangen.

 

Bei dem ganzen Unternehmen ist schließlich Erlemann, der im April 1914 seinen Wohnsitz nach Oeynhausen verlegte, nicht auf seine Kosten gekommen. Der Wagemut, der ihn beseelte, hat ihm nicht den erhofften Gewinn gebracht. Aber für alle Zeiten ist sein Name mit der Schaffung eines ganzen Stadtviertels verbunden und verdient einen ehrenvollen Platz in der Geschichte unserer Stadt.

 

Nach dem Verkauf von Rechen machte sich der letzte Besitzer Karl von Schell in Niederleschen, Kreis Sprottau, ansässig und gab dem dort errichteten Herrenhaus den Namen „ Haus Rechen“. Von dort verlegte er seinen Wohnsitz nach Herzogswalde, wo er wieder ein Rittergut erwarb, das 1917 wieder in andere Hände überging. Nach dem Kriege nahm Karl v. Schell seinen Wohnsitz in Berlin-Zehlendorf. Er starb im Jahre 1923 in Potsdam. In zwei Söhnen, wohnhaft in Kiel und Baden-Baden, und drei Töchter lebt dieser Zweig der von Schell fort, die übrigen Zweige sind in männlicher Linie ausgestorben.

 

Impressum

Jahrbuch der Vereinigung für Heimatkunde Bochum

 

1951

 

Herausgegeben

Im Selbstverlag der Vereinigung für Heimatkunde Bochum

 

Gesamtgestaltung Presseamtsleiter Albert Lassek – Umschlagentwurf Thea Reuter, Bochum

Druck Laupenmühlen und Dierichs, Bochum, Anzeigerhaus

 

(Zitierhinweis 2012: Albert Lassek, Bearb.: Jahrbuch der Vereinigung für Heimatkunde Bochum 1951. Bochum 1951. Bochumer Heimatbuch Bd. 5)