Bauern sprechen Recht

Ein Streifzug durch das Spätmittelalterliche Rechtsleben im Amte Bochum

 

Oberstaatsanwalt Dr. Günther Höfken

 

Die Beteiligung des Volkes an der Rechtsprechung in unseren Schöffen- und Schwurgerichten ist nicht eine Errungenschaft der neuen Zeit sondern geht auf alte deutsche Rechtsgrundsätze zurück. Im alten deutschen Rechtsverfahren urteilte die Gerichtsgemeinde, also auf dem Lande der Bauer, der Richter leitete die Verhandlung nur und verkündete den gefällten Urteilsspruch.

Als die Grafen von Altena im Gebiet von Bochum in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Boden faßten, übernahmen sie mit der alten Grafschaft Bochum auch das ländliche G o g e r i c h t B o c h u m. Urkundlich tritt uns zuerst in einer am 2. Juli 1236 ausgestellten Urkunde des adeligen Bernhard von Strünkede ein Richter als Urkundenzeuge entgegen:

Hugo judex de Buchem wird er genannt. Die Grafen von Altena schieden sich in zwei Linien, die sich nach den Burgen Mark (bei Hamm) und Isenburg (bei Hattingen) benannten. Das Bochumer Land stand im Lehnsbesitz der Isenburger. Das Bochumer Gericht spielte eine Rolle bei der Auseinandersetzung zwischen der Isenberger und der märkischen Linie des Altenaer Grafengeschlechts nach Ächtung und Hinrichtung des Grafen Friedrich von der Isenburg, von welcher Feste er sein Bochum-Hattinger Herrschaftsgebiet beaufsichtigte. Im Vertrag vom 1. Mai 1243 zwischen den Blutsverwandten des geächteten Grafen und dem Grafen Adolf von der Mark wurde bestimmt, daß letzterer und der Sohn Dietrich des Geächteten „Grafschaft, Gericht und Hof Cobuchem nebst Patronat der Kirche zur Erhaltung der Freundschaft gleichmäßig unter sich teilen sollten.“ Es heißt in der lateinisch verfaßten Urkunde „in comitia, judicio et curte Cobuchem condivident“. Eine unglückliche Lösung, die der Kölner Erzbischof als Herzog von Sachsen dadurch zu beseitigen suchte, daß er die Limburger für ihren Anteil entschädigte und diesen im Jahre 1272 selbst übernahm. Jetzt wandte der Graf von der Mark sich an den Erzbischof, um von diesem dessen Anteil zu übernehmen. Erst dann konnte er ganz über das Bochumer Gebiet verfügen. Es gelang ihm, um das Jahr 1285 eine Verpfändung des Anteils gegen Zahlung von 400 köln. Mark zu erreichen, wobei der Erzbischof sich das Recht der Einlösung vorbehielt.

Um diese Einlösung entbrannte später ein jahrzehntelanger Streit zwischen Köln und Mark; immer wieder suchte Köln die Bildung eines selbständigen geschlossenen Gebietes dem märkischen Grafen streitbar zu machen. Im Jahre 1314 entlieh der Erzbischof von den Bürgern Recklinghausens die Einlösesumme, wofür er ihnen seine Mühlen in Hillen (bei Recklinghausen) auf 12 Jahre verpfändete. Vom Grafen suchte er dann die Rückgabe des Bochumer Anteils mit der Begründung durchzusetzen, die Verpfändung des halben Gerichts Bochum sei ohne Zustimmung des Domkapitels geschehen und deshalb ungültig, der Graf habe seit 30 Jahren aus diesem Gericht fast für 2000 Mark Soester Währung Einnahmen gehabt. Aber der Graf hielt sich weigerlich. Erst im Jahre 1339 erklärte er sich zur Einlösung bereit. Im Jahre 1344 brach erneut der Kampf zwischen Köln und Mark aus, der durch schiedsrichterliche Vermittlung im Jahre 1349 geschlichtet wurde, wo am 2. Januar bestimmt wurde, daß H o c h g e r i c h t und Freigrafschaft B o c h u m für die nächsten zehn Jahre halb Köln und halb Mark gehören sollten.

Aus der Bezeichnung Hochgericht können wir entnehmen, daß das ursprünglich nur für die niedere Gerichtsbarkeit zuständige Gogericht inzwischen die Blut- und Hochgerichtsbarkeit, die im frühen Mittelalter nur beim Grafengericht lag, übernommen hatte. Das alte Grafengericht hatte wegen seiner schwerfälligen und in erster Linie aus fiskalischem Interesse auf Geldbußen (Wergeldsühne) gerichteten Spruchpraxis ein Ende gefunden. Nur die Sondergerichtsbarkeit über das Freigut der Freibauern war ihm unter dem Namen Freigraf-schaft verblieben. Diese Freigrafschaft wurde als Einnahmequelle bei der Auseinandersetzung der Limburger und märkischen Linie aufgeteilt in eine Freigrafschaft Bochum und die sogenannte krumme Grafschaft der Limburger, die den östlichen Teil des Amtes Bochum einnahm. Hier in den Freigrafschaften wurde auf sog. Freistühlen über Freigut gerichtet. Im Zuge der Landfriedensbestrebungen haben diese Freigerichte als kaiserliche Gerichte unter dem Namen Feme im 14. und 15. Jahrhundert eine große Rolle in der Bekämpfung der Fehdeauswüchse zur Befriedung des Landes gespielt; ihre Zuständigkeit wurde auch auf eine Reihe von zivilen Sachen erweitert bis sie schließlich mit der Erstarkung der märkischen Landesherrschaft, wegen der Unfähigkeit, die von ihnen gefällten Urteile auch zur Vollstreckung bringen zu können und infolge anderer Mißstände vor 1500 ein Ende fanden. 1553 wird in der Erkundung des Bochumer Richters Dierich Delscher über die hohe Herrlichkeit des Herzogs im Amt Bochum berichtet, der Herzog habe „alle gerechtigkeit, gebot und verbot, gemeine Brocken (Brüchten = Geldbußen) und liffstraiffen (Leibesstrafen),“ also die ganze Gerichtsbarkeit (dat hoichgericht to Boichem), es beständen daneben noch zwei Frystoelsgerichte (Freigerichte) der krummen Freigrafschaft von Hohenlimburg in Öspel und Langendreer, die aber nur in Sachen der Freigüter zuständig seien.

So hatte der märkische Graf die Tätigkeit des Freigerichts Bochum allmählich beseitigt, seine Freischöffen wurden nun zum Landgericht Bochum zugezogen und die Abgaben von den Freigütern von der landesherrlichen Rentei Bochum vereinnahmt. Die krumme Grafschaft (vergl. Anm. 18) hatte keine Bedeutung mehr, sie stellte auch bald ihre Aufsicht über die Freigüter ein, da diese ihre Selbständigkeit verloren und in die Hände des Adels gerieten. Außer dem oben erwähnten Richter Hugo sind für das 13. Jahrhundert N a m e n d e r R i c h t e r nicht überliefert Erst an seinem Ende fließen die urkundlichen Quellen reichlicher. In den Jahren 1298, 1299 war das Richteramt im Besitz des adeligen Giselbert genannt Speke, der Burgmann der Burg Blankenstein bis 1302 war und im Osten des Gerichtsbezirks auf Bodelschwingh ansässig war. Seine Nachkommen nannten sich dann nach diesem Sitz „von Bodelschwingh“ und waren auch in der späteren Zeit als Amtmänner des Amtes Bochum in Diensten des Grafen tätig. Als weitere Richter werden urkundlich genannt im Jahre 1322 (19. März) der adelige Heinrich von Schepen (Henr. de Schepen) und im Jahre 1327 der adelige Johann Schele von Letmathe (Lettmette), der im Osten des Gerichtsbezirks ansässig war.

Er wird in den folgenden Jahren auch als officiatus, also als Amtmann des Grafen bezeichnet ein Zeichen dafür, daß das Schwergewicht seiner Tätigkeit nicht mehr im Richteramt, sondern in der Verwaltung des Bezirks lag. Nach seinem Tode wurden Richteramt und Verwaltungsamt getrennt verliehen. Als Amtmann oder Droste wurde ein Adeliger des Gebietes bestimmt, während das Richteramt nun von Personen meistens bürgerlicher Herkunft ausgeübt wurde.

Obwohl das Gericht Bochum infolge des Schiedsspruchs von 1349 zwei Gerichtsherren unterstand, so ist doch nicht anzunehmen, daß das Gebiet real geteilt wurde. Vielmehr stellten Köln und Mark je einen Amtmann und Richter an, die gemeinsam ihr Amt ausübten. So treten im Jahre 1353 die Amtmänner Henrich von Luttelenowe genannt von der Hevene (auf Haus Heven) von kölnischer Seite und Antonius von Marten (auf Haus Marten) von märkischer Seite auf, ebenso wird es damals mit den Richtern gewesen sein, deren Namen nicht überliefert sind.

Auch nach Ablauf der zehn Jahre gab Köln sein Anrecht an Bochum nicht auf. Erst nach langen Fehden räumte Köln im Frieden von Hamm am 1. Mai 1392 an Kleve-Mark (diese waren seit 1368 vereinigt) den Pfandbesitz der erzbischöflichen Hälfte des Gerichts Bochum (Koffbochum) wieder ein, eine Einlösung erfolgte später nicht mehr, und das Gebiet Bochum blieb mit der ganzen übrigen Mark von dieser Zeit an mit dem H e r z o g t u m K l e v e verbunden. Als Richter sind in diesen bewegten Zeiten tätig gewesen: Wessel Wostehof, urkundl. erwähnt 1361, 62, Hinrich vom Schede 1366 – 69, Hinrich Holeych 1378, Arnt van den Schepen 1380 – 1410.

 

Für die folgende Zeit sind uns die Namen der Richter in den sog. Märkischen Registerbüchern überliefert, in die die Klever Regierungskanzlei seit 1392 Abschriften aller wichtigen Erlasse und Ernennungen von Beamten für das märkische Gebiet aufnahm. Jedoch sind Ernennungen der Bochumer Richter erst seit 1463 verzeichnet es hängt diese Tatsache vielleicht mit den Streitigkeiten unter den klevischen Regierungsanwärtern zusammen. Möglich ist auch, daß die Richter zunächst vom Amtmann angestellt wurden, wie das im Blankensteiner Amt der Fall war. Es werden urkundlich genannt in der Zeit von 1428 bis 40 Roseir Schowerk (auch Richter in Hattingen), Hermann dey Revesche (adelig) von 1440 bis 50, von 1450 bis 63 Hermann und Israel dey Revesche zusammen „eyndrechtige richtere to Boichem“, von 1463 bis 77 Thewes van der Heymbecke, von 1477 bis 1489 Heinrich Steinhaus (adelig), 1490 bis 1505 Herman Hoppenbrower, von 1506 bis 24 Gert Spaen (adelig). Das Gebiet das zum Gericht Bochum gehörte, umfaßte das große Amt Bochum, das vom Stift Essen im Westen bis zur Grafschaft Dortmund im Osten sich erstreckte, im Norden von der Emscher, im Süden von der Ruhr be-grenzt wurde. Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts bildeten sieh im Randgebiet die selbständigen Gerichtsbezirke Strünkede, Castrop, Mengede, Huckarde, Witten, Herbede, Stiepel, Horst. Das Gericht Bochum hieß im Mittelalter auch die „V e s t e B o c h u m“, eine Bezeichnung, die heute noch in dem Ausdruck „Vest Recklinghausen“ sich erhalten hat Unter Vest verstand man ursprünglich den mit einer Landwehr umgebenen befestigten Bezirk, seine Bewohner hießen Vestgenossen, der einzelne Bauer war der Wehrfester als Verteidiger seines Gutes (der Wehr). Später übertrug man die Bezeichnung Vest auf das Gericht, nannte es Vestding und die Zusammenkunft aller Gerichtseingesessenen die Vollveste, die einmal im Jahr tagte. Das Amt Bochum war bis ins 15. Jahrhundert in das Ober- und Niederamt eingeteilt, später zerfiel es in Ober-, Mittel- und Niederamt. In jedem dieser Unterämter war ein Gerichtsfrone als Helfer des Richters und Vollstrecker seiner Anordnungen tätig. Neben dem Richter fungierte auch seit dem 15. Jahrhundert ein Gerichtsschreiber. Als Gerichtsstätten werden in diesem Jahrhundert Wattenscheid und Bochum genannt: so ist in einem weiter unten zu besprechenden Weistum von 1471 von den Vestgenoten von Bochum und Wattenscheid die Rede, 1366 nennt sich Hinrich vom Schede Richter zu Wattenscheid und Bochum. 1522 hielt der Amtsrichter einen Gerichtstag „vor dem Gerichtsstuhl binnen Wattenscheid“ ab. Offenbar ist Wattenscheid schon immer ein alter Gerichtssitz gewesen, so daß zeitweise von einem Landgericht Wattenscheid gesprochen wurde. Vorsitzer war aber immer der Bochumer Amtsrichter. (Näheres über dieses Wattenscheider Gericht bei Schulte-Petri, Staatliche Geschichtsquellen Wattenscheid, 1953. S. 78 ff).

Eine alte R i c h t s t ä t t e befand sich auf der Altenbochumer Heide in der Nähe des Rittersitzes Goy, nach einer Urkunde vom 25. August 1450 ist von einem Stück Land die Rede, das gelegen war „an der Borbecke und schuytet tegen dat gericht, dat by der Goy steyt“. Unter Gericht verstand man damals auch den G a 1 g e n , das alte Bochumer Stoppelrecht bestrafte in § 51 den Täter, der „meines Herren Gerichte schändete oder einige Instrumente abnehme“, mit dem Tode. Später stand ein Galgen für das Oberamt auf der Werner Heide, für das Niederamt in Stalleiken auf der Flur Haverfeld, genannt der Galgenplatz, und für das Mittelamt auf dem Galgenplatz an der Maarbrücke. Dieser lag zwischen der heutigen Wattenscheider Straße und der Straße an der Maarbrücke, dem alten Hellweg, der durch das Gelände des Bochumer Vereins führte und über die heutige Gußstahlstraße an der Alleestraße in Bochum einmündete. Er war eine 111 Ruten 50 Fuß große Weide, die die Bauern von Hamme zur Verfügung stellen mußten. Auf ihr stand bis zum Jahre 1808 der Galgen, es waren im Jahre 1803 zuletzt von dem Scharfrichter Peters auf dem Galgenplatz zwei Verbrecher ausgepeitscht worden. Bei Anlegung des Grundsteuerkatasters im Jahre 1820 trug man als Eigentümer des Platzes den Domänenfiskus ein (Flur III Nr. 183), aber die Gemeinde konnte ihre Rechte an dem Platz nachweisen, sie veräußerte ihn an den Bauern Heimeshoff. Als der Fiskus nun gegen diesen Klage auf Herausgabe des nach seiner Ansicht immer öffentlichen Zwecken dienenden Platzes vor dem Bagatellrichter des Stadt- und Landgerichts Bochum im Jahre 1846 anstrengte, wurden auch die Zeugen über die letzten Amtshandlungen an dem Galgen gehört, der Prozeß ging aber für den Fiskus verloren, weil er nicht das Eigentum an dem Platze nachweisen konnte, der offenbar Privateigentum des Bauern war und nur mit einer alten Servitut der Benutzung zu Richtzwecken belastet war. Heute stehen auf einem Teil des Platzes die Häuser an der Maarbrücke Nr. 26 (früher 16, Wirtschaft Ranft) und Wattenscheider Straße 21. In Höntrop gab es früher einen Galgenbusch, wahrscheinlich wurde das Gerüstholz für den Galgen aus diesem Busch gewonnen. Alte Tagungsplätze der Bauern waren auch die „Ties“, die sich in fast jeder Bauernschaft nachweisen lassen, allein vier Bauernhöfe führten im Amte Bochum den Namen Tie-mann, auch die Diebergstraße, die zum Dieberg führt, erinnert noch an einen solch alten Versammlungsplatz. Diese dienten in den ältesten Zeiten als Mal- oder Gerichtsstätten, später aber nur zur Besprechung der Ange-legenheiten der Bauernschaft unter ihrem Vorsteher (dem Burrichter).

 

Bei dem alten Bochumer Gogericht – später Amtsgericht oder Landgericht genannt – sind zwei Arten von Gerichtsversammlungen zu unterscheiden: das ungebotene D i n g (T h i n g) und das gebotene Ding. Zu ersterem waren alle männlichen Eigentümer einer Feuerstelle, also alle Adeligen, Bauern und Kötter und zwar ohne weitere Aufforderung zu erscheinen verpflichtet, es wurde jährlich einmal auf Montag nach Margarethä (13. Juli) abgehalten. Als Tagungsplatz wird man in älteren Zeiten ein für die Versammlung einer größeren Menschenmenge geeignetes unkultiviertes Grundstück, etwa eine Heide, genommen haben oder einen Ort, der seit alter Zeit kultische Bedeutung hatte.

Im 16. Jahrhundert fand das ungebotene Ding auf dem Marktplatz in Bochum statt. Es führte im 16. Jahrhundert den Namen Stoppelgericht, einer alten Bezeichnung für ein ländliches Gericht (Gegensatz zum Stadtgericht).

Auf diesem Gerichtstag, der alten V o l l f e s t e, wurde zunächst das geltende Recht wie es seit alten Zeiten für die ländlichen Verhältnisse und zuerst von Geschlecht zu Geschlecht mündlich weitergegeben worden war, gewiesen, später ist es in dem sog. S t o p p e l r e c h t schriftlich niedergelegt worden und wurde von den sieben Freibauern im Weisungsakt alljährlich vorgelesen. Daran anschließend fand das R ü g e g e r i c h t statt, d. h. jeder Vorsteher einer Bauernschaft hatte als sog. Bauernrichter (burrichter) die im vergangenen Jahre in seinem Bereich vorgekommenen Vergehen zur Bestrafung anzuzeigen, die dann in einer Nachverhandlung, dem sogenannten Brüchtending in Strafe (Brüchte) genommen wurden.

Da die damalige Zeit keine Gesetzbücher kannte, war man wegen der Fortbildung des Rechts auf diese Gerichtstagung des ungebotenen Dings angewiesen, hier konnte jeder den Richter um Entscheidung einer Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung bitten. Diese Rechtssätze bildeten so das Recht fort. Aus ihm spricht das Denken und Treiben der Bauern ursprünglich und reizvoll zu uns. Ein interessantes R e c h t s w e i s t u m über eine erbrechtliche Frage ist uns überliefert worden; soweit ich sehe, ist es das einzig erhalten gebliebene unseres Bochumer Gerichts. Am Stoppelgericht des Jahres 1471 erschienen vor dem Richter die beiden Bochumer Bürger Johann Brekelfeld und Arnt von der Horst und baten durch ihre Vorsprecher (nach altdeutschem Rechtsbrauch durften die Parteien vor Gericht nur durch einen Vorsprecher verhandeln) um eine Entscheidung nach Landrecht in folgender Angelegenheit: Ein Mann war mit Hinterlassung von Frau und Kindern gestorben, die Witwe wollte wieder heiraten und mußte vorher die Kinder mit ihrem väterlichen Erbteil abfinden. Nach der Abfindung war ein Kind gestorben. War nun die Mutter die nächste Erbin oder waren dies die Geschwister des verstorbenen Kindes? Diese Frage wollten die beiden Rechtsuchenden geklärt haben. Der Richter Mattheus von der Hembecke stellte diesen Tatbestand fest und betraute dann, da er ja selbst nur die Leitung der Verhandlung nach altdeutschem Rechtsbrauch hatte, einen der angesehensten Männer des großen Bochumer Gerichtsbezirks, den Freigrafen Johann Hakenberg, mit der Urteilsfindung. Dieser ging aus dem gehegten Gerichte heraus und beriet mit der Gerichtsgemeinde, Adeligen wie Bauern; nach einmütig gefaßtem Entscheid gab er die Weisung ab, die Mutter sei die rechte und nächste Erbin und nicht die Kinder. Diesen Spruch griff der Richter auf und verkündete ihn als rechtsverbindliches Urteil. Er stellte dann nach Empfang seiner Gebühren einen Gerichtsschein über die gefällte Entscheidung aus. In dieser überlieferten Urkunde sind die gestellten Fragen und wörtlich damit übereinstimmend so, wie es der strenge Formalismus des alten Rechts forderte, die gefällte Entscheidung angeführt. Als Urkundenzeugen – „Standgenossen“ – werden dann außer den beiden Gerichtsfronen, die angesehensten Teilnehmer der Gerichtstagung angeführt. Genannt werden von den a d e l i -g e n Grundbesitzern der Ritter Johann von Aldenbockum (auf Haus Wiesche bei Harpen), Johann von Strünkede (auf dem gleichnamigen Rittersitz in Herne), Johann von Eickel (auf Haus Krange), Johann von Eickel (auf Haus Gosewinkel in Eickel), Hermann von Witten (auf Haus Berge in Witten, zum Erscheinen auf dem Stoppelgericht war er wegen seines Hauses Krengeldanz verpflichtet), Johann von Dücker-Neiling (auf Haus Beeck bei Stiepel, wegen seines Hauses Heide bei Stockum), Hermann von Holte (auf Haus Holte in der gleichnamigen Bauernschaft), Johan von Rodenberg (Romberg), der wahrscheinlich in Hofstede wohnte, und der adelige Friedrich Northaus, dessen Adelssitz in der Gegend der heutigen Dorstener Straße in Bochum lag. Aus B o c h u m werden als Teilnehmer angeführt, der herzogliche Rentmeister Wessel Paschendael, die beiden regierenden Bürgermeister Dirich Köning und Johann Schütte sowie der vorjährige Bürgermeister Hinrich Stodt. Ferner waren anwesend der Freigraf Hackenberg für die Freigrafschaft Bochum und der Freigraf der krummen Freigrafschaft Johann Friemann aus Langendreer: zu Zeiten der Feme leitete dieser die femegerichtlichen Verhandlungen seiner ehemals großen Freigrafschaft, die sich damals noch von Herbede bis nach Langendreer, Oespel, Mengede erstreckte, also den Ostteil des Amtes Bochum mit umfaßte. Aus W a t t e n s c h e i d werden genannt der Bürgermeister Johan op dem Kamp und einige Bürger. Von den Bauern, die auf rund 720 Höfen und Kotten im Gerichtsbezirk wohnten, werden angeführt der Oberschulte und der Niederschulte von Langendreer, Schulte Schalke und Schulte Brockhoff von Gelsenkirchen, dann die Landwirte Flümann und Kampmann (op dem Kamp) in Wattenscheid. Es nahmen weiter teil an der Tagung: aus Westenfeld Bauer Holde, aus Harpen Heinrich‚ aus Kley, das heute zur Stadt Dortmund gehört, die Bauern Hermann und Hodde, aus Querenburg „der große und der kleine Johann Frielinghaus“, es folgen Schulte Heinrich aus Berghoven, aus Altenbochum Raffenberg (so hieß der damalige Besitzer des Gördthofs), Nierhoff und Schulte-Ladbeck, aus Langendreer Beckmann und aus Werne Holthaus. Bei Aufzählung der Namen fällt auf, wie häufig der Rufname Johann vor-kommt

Wir lassen nun die Urkunde in ihrem Wortlaut folgen. Ich Matheus van der Heymbeke Rychter to Bokem in der tijt bekenne und betuge in desem openem breyve, datt ich op dach datum dijs breyffs to rechter rychttijt des dages staed und stoell to rychten na lant rechte eyns gehegeden gerychte myt oyrdell und rechte besetten und becledet hadde, dar vor my an datt selve gerychte gekomen synt Johan Brekelvelt und Arnd van der Horst und heben overmitz oirer gewunnen varspreken laten vragen eyns rechten oyrdels na landrechte. Dar twe echte lude kynder to samen hadden und dey vader versterve und dey moder dar na sych verandersaten wolde und itlyken Kynde bysunder syn andell synes vederlyken und moderlyken erves und gudes ondergewyst und gegeven hedde na rade orer geboren und gekoren vormunder, vrönden und magen und off dan der kynder, so ytlych bysunder affgedeylt wellych) versterve, off dey moder des verstorven kyndes dey neeste erve sij oder off dey suster und broder des verstarven kyndes dey neeste erve sijn offt watt dar recht umb sij. Wellych oyrdell ich richter davorg. myt rechte stalte aen Johan Hakenberge, vrygreven to Bokem dey dat so myt rechte an sych nam und genk uyt und berayt sych myt der Rytterschoepp und mit dem ganzen lande beyder ampter der vestgenoten Bokem und Watenschede unde is wederkomen in gerichte und hevet myt ganser volgynge der Ryterscboepp und Lantschoepp vorß. eyndrechtlyk gewyst vor recht Heben twe echte lude kinder tosamen und dey vader verstarven und dey moder sych dar na veranderseden wolle und itlyken kinde bysunder syn affdeel geve und gewyst hadde synes vederlyken und moderlyken erves und gudes na rade oirer gekoren und geboren vormunder, vrenden und magen, starve der kynder dan wellyck sunder rechte lijfferven, so sij dey moder dey rechte und ne-ste erve to des verstorven kyndes nalaten gude unde nycht dey suster off broder, dey moder heb sych verandersatzt offt nycht. Welken gewysten oyrdels ich Rychter vorg. vervolchinge vragde so my to rechte geborde dat togelaten ys, und nycht myt rechte wederachtet, dat ich also bestat heb myt dem umbstande des gerychts hir na gesrevem dar ich eyn oyrkunde op entfangen als des gerychts recht ys und des allet to getychnysse der warheyt heb ich Rychter vorg. van gerychts wegen myn segel an dussen breyff gehangen, dar dan over und ane gewessen syn stantgenoten des gerychts myt namen Rytherman, Roseyr Smededen, geswoiren vronen des gerychtes, Herr Johan van Aldenbokem, Rytter, Johan van Strünkede, Johan van Ekell, Gosewynkel dey junge, Hermann van Wytten, Johan Duker Neylink, Herman van dem Holte, Johan van dem Rodenberge, to Boichem Frederich Narthuys dey junge, Wessel Passchendaell, Rentmester myns gnedygen leyven Hern, Diryk dey Konink, Johan Schütte und Hynrich Stoet nye und alde Borgermester te Bokem, Johan Fryman Frygrewe de frien krummen graveschoepp, Johan op dem Kampe, Borgermester to Wattenschede, Johan van Hullen, Gobel van Vrenckynck, Arnd Knope, Albert Scriver van Stirem, Evert Rimbeke, Johan schulte dar oven to Langendreier, Johan schulte dar neden, Johan schulte to Schedelych, Gerlych Schulte in dem Broykhove, Johan Flumen, Johann op dem Kampe, Gert Holde to Westenfelde, Hynrick van Harpen, Herman van Cley, Hodde van Cley, dey grote Johan und dey lutteke Johan to Vrylynkhusen, Hinrick Berchhoeff te Harpen, Herman Raffenberch, Herman Nederhoeff, Hanes schulte In der glatbeke, Rotger Bekman, Arnd Holthus und vart dey sementlyken dingplychtigen des Gerychts beyder ampte vorscr. Datum anno domini millesimo cccc lxximo des nesten manendages na sunte margareten dag virginis.

 

Die S a m m l u n g d e r a l t e n R e c h t s s ä t z e, die alljährlich im Stoppelgericht verlesen wurden, erfolgte wohl noch im Laufe des 15. Jahrhunderts, als man das Bedürfnis empfand, sich auf solche festen Rechtsätze berufen zu können. Es war die Zeit wo es im Landvolke gärte und man die Reformbedürftigkeit der Rechtsauffassungen empfand. D a s B o c h u m e r L a n d - o d e r S t o p e l r e c h t gehört in der ältesten und überlieferten Zusammenstellung wohl der Mitte des 16. Jahrhunderts an.

Das überlieferte Land- und Stoppelrecht trägt in 56 Rechtssätzen bei den engen Beziehungen zwischen Recht und Wirtschaft in erster Linie landwirtschaftlichen Belangen Rechnung. Es regelt das Recht der Ueberfahrt über Nachbargrundstücke, Ueberhang- und Ueberfallsrecht, Grenzverletzung, Widerstand gegen Pfändung, Regelung von Tierschäden, Benutzung fremder landwirtschaftlicher Geräte und trifft Bestimmungen über den von allen Grundstücken zu leistenden Zehnten. Dazu kommen Strafandrohungen für Friedensbruch, Totschlag und Körperverletzung aller Art. Bei der Körperverletzung macht es einen Unterschied zwischen der Wunde, die blutet und der unblutigen Verletzung, dem Dulschlag. Jede Blutwunde wurde mit 5 Mark, jeder Dulschlag mit 12 Schillingen gebrüchtet. Ein allgemeines Züchtigungsrecht bestand gegenüber zänkischen Burschen im Wirtshaus, man durfte sie in „heiler Haut“ zurecht weisen, ohne Brüchte geben zu müssen. Schaden, den Tiere auf fremden Boden anrichteten, wurde an diesen gesühnt. So durften Gänse auf einem Kornfeld totgeschlagen werden. Die Gans mußte aber auf der Spitze des Zaunes aufgehängt werden. War diese zu kurz, so mußte ein weißer Stab gesplissen und das Tier mit dem Hals dazwischen gehängt werden. Die Gans durfte nämlich nur soweit wie sie mit dem Hals zwischen den Zaunplanken hindurch Futter fassen konnte, ihre Nahrung ungestraft suchen. Wurde durch vierfüßiges Vieh im Korn Schaden angerichtet so durfte es geschüttet (gepfändet) und brauchte erst nach Abschätzung des Schadens freigegeben werden. Von dieser Bestimmung gab es Ausnahmen, so soll man „eine schneeweiße Sau mit neun schneeweißen Ferkeln nicht werfen oder schlagen, sondern ungehindert ziehen lassen.“ Einen Stier oder Eber, die nur Schultengüter halten durften, durfte man, wenn sie ins fremde Korn gingen, ebenfalls nicht schlagen, sondern nur über die Grenze treiben. Soviel über einige der eigenartigen von hoher Altertümlichkeit zeugenden Rechtsätze des Bochumer Stoppelrechts.

Bestanden hat diese uralte jährliche Tagung des Landgerichts Bochum wohl noch während des 17. Jahrhunderts 9, In Hagen wir« die gleiche Einrichtung der Vollfeste noch 1725 bezeugt.

Wenn es in der Einleitung zum Bochumer Stoppelrecht heißt: „Landrecht, so die sieben Freien unserem gnädigen Fürsten und Herrn zu weisen pflegen“, so sehen wir, daß die sieben Freibauern, die in alten Zeiten am Freigericht dingpflichtig waren, wegen ihres Ansehens auch am Landgericht eine große Rolle spielten und dort bei der Weisung des Landrechts halfen, wie ja auch bei der oben geschilderten Weisung der erbrechtlichen Frage der F r e i g r a f Hakenberg das Urteil wies.

 

Die gewöhnlichen Gerichtstage, die sog. gebotenen Dinge (Botdinge) fanden von Zeit zu Zeit statt, wenn die streitenden Parteien den Richter um Bestimmung eines Termins ersucht hatten. Sie wurden wohl am Ende des Mittelalters nicht mehr auf den alten Dingstätten, sondern im Haus des Richters abgehalten. War nach Bestimmung des Termins der Beklagte vom Kläger durch den Fronboten, der als Zeichen seines Amtes einen weißen Stab führte, geladen worden, so erschienen an dem Gerichtstag die Parteien mit einer Anzahl erfahrener und vertrauenswürdiger Bekannten, die den sog. Umstand des Gerichts bildeten. Das Gericht wurde dann vom Richter nach alten überlieferten Formen gehegt die „Bank gespannt“ und der Gerichtsfrieden verkündet. Dann brachte der Kläger sein Begehren durch einen Vorsprecher vor in der sog. Ansprake. Der Beklagte antwortete darauf und der Richter ließ dann zu jedem Antrag durch Frage an die Gerichtsgemeinde, vertreten durch den Umstand, Stellung nehmen.

Ein von dem Richter bestellter U r t e i l s w e i s e r ging nun zu dem Umstand, beriet mit ihnen und teilte die getroffene Entscheidung dem Richter mit der sie dann durch seinen Spruch als rechtmäßig zustande gekom-mene Entscheidung verkündete. So vollzogen sich alle Stufen des Prozesses durch Frage und Urteil. Das war in großen Umrissen der V e r h a n d l u n g s g a n g , vor Gericht fand dann auch die von dem Umstande für not-wendig befundene Beweisaufnahme durch Zeugen, Herbeischaffung von Urkunden usw. statt.

 

Wenn der Beklagte nicht erschien, mußte er dreimal hintereinander mit je 4 Wochen Frist geladen werden. Nach der dritten Ladung (dem derden verfolg) wurde er mit der vierten Ladung „ingedingt“ d. h. der Richter war jetzt gezwungen, durch das Gericht ein Urteil fällen zu lassen. Das ist uns aus einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1540 überliefert, die einen Streit zwischen dem Besitzer des Ritterguts Havkenscheid Dirich von Havkenschede und dem Pastor von Harpen Johann von Suntum über eine Kornrente betraf, die aus dem Rittergut an den Pastor zu leisten war. Der Kläger klagte auf Nichtbestehen der Leistung, der beklagte Pastor erschien trotz dreimaliger Ladung nicht, endlich nach der vierten Ladung erschien er mit seinen Vorsprechern (Rechtsanwalt) Dirich Brunkhorst und Peter van Soist und erklärte, er habe die Rente von drei Maltern Korn und 6 Hühnern schon immer als lankwilige und roeweliche boerung (langwierige und zeitraubende Einnahme) gehabt und verlange, daß er seine gebührliche Zeit „nach Landrecht“ vom Richter anerkannt erhielt, um zu beweisen, daß er die Rente, solange er Pastor sei, bezogen habe. Durch Vermittlung des Amtmanns Johann von Loe kam es dann 1542 zu einem Vergleich (Symann Wanner Urk., Buch Bd. 2, Heft 3, S. 204 und Nr. 46). Erschien der Beklagte auch bei der vierten Ladung nicht, so wurde bei ihm durch einen Fronboten eine Pfändung vorgenommen, er konnte aber durch das Gericht auch „verfestet“ d. h. für friedlos erklärt werden. Ueber einen solchen Fall der F r i e d l o s l e g u n g in einer Nachverhandlung vor dem Bochumer Stoppelgericht verhält sich die Urkunde vom 17. Juli 1432 (Essener Stadtarchiv), die betont, daß das Gericht am nächsten Montag nach St. Margarethentag zusammengetreten sei, es muß also im Anschluß an die alte Vollfeste getagt haben. Vor dem Richter Roseir Schowerk hatten die adeligen Herren Goswin von Eickel und Heinrich von Dücker-Neuling den Essener Bürger Matthias von Köln (Thies van Colne genannt Thies Dobbe) dreimal geladen, nachdem sie sich zunächst an den Bürgermeister der Stadt Essen gewandt hatten, mit der Bitte, den Schuldner zu veranlassen, seine Schulden an sie zu bezahlen und der Schuldner dieses auch dem Bürgermeister gegenüber versprochen hatte. Der Beklagte kam der wiederholten Ladung nicht nach und wurde nun vom Bochumer Gericht „verbedet, verclaget, verfulget und verwunnen und mit gericht und recht vredelois gelegt“. Ueber diese Friedloslegung stellte der Richter eine Urkunde aus, die er an den Magistrat der Stadt Essen schickte, die ihren Mitbürger dann zur Zahlung gezwungen haben wird.

Vollzugsorgan des Richters war der F r o n b o t e. Er hatte die angeordneten Pfändungen vorzunehmen und genoß dabei besonderen Schutz, wer ihm gegenüber Gewalt anwendete oder eine Pfändung weigerte, wurde in die höchste Brüchte, das waren nach Bochumer Landrecht 13 Mark, genommen. Dieses Weistum enthält auch in einer Bestimmung noch sehr alte Formen gerichtlichen Zwanges. Es heißt in Ziffer 20: „so ein geschworener Frone einem sein Gut zuschlüge und da über Tische säße, der soll sein Messer nicht in die Scheide stechen, er habe dan sein Gut erst entsatt, bei Strafe der höchsten Brüchten.“ Diese Bestimmung hat folgenden Sinn. Wenn jemand trotz dreimaliger Ladung – wie bereits oben angeführt – immer noch nicht zum Gerichtstermin erschien, konnte sein Gut durch einen Fronen „zugeschlagen“, also beschlagnahmt werden.

Diese „Verpfählung“ oder „Zuschlagung“ war ein altgermanischer Rechtsbrauch, ein Überbleibsel der alten Privatfehde.

 

Durch den Frohnen in Gegenwart des Richters erfolgte die Einschlagung eines Pfahles vor der Hoftür des Geladenen, so daß dieser nicht mehr durch die Tür nach draußen gelangen konnte. Das sollte eine gerichtliche letzte Warnung an den Geladenen sein: war er noch weiter säumig, dann drohte ihm die Friedlosigkeit und damit die Wüstung seines Besitztums. Man stieg ihm aufs Dach und hob es ab.

Um dieses zu vermeiden, mußte der Säumige sich wieder „entsetzen“ lassen. Das Bochumer Landrecht verpflichtet ihn nun, diese Entsetzung sofort zu betreiben, er soll, wenn er gerade zu Tisch sitzt beim Essen, sein Messer nicht eher einstecken, bevor er beim Frohnen diese Entsetzung durchgeführt und den Richter um einen Termin gebeten hatte, andernfalls mußte er die höchste Brüchte zahlen. Denn in der Besetzung lag eine symbolische Schließung seines Hofes und eine Art Gefangensetzung, befreite er sich nun selbst aus dieser Zwangslage, sollte er die höchste Geldstrafe bezahlen. In einem anderen Zusammenhang ist von diesem drastischen Zwangsmittel gegen einen Säumigen die Rede in Ziff. 5 des Bochumer Landrechts: wenn Nachbarn beieinander wohnen und ihre gemeinsamen Ländereien einfriedigen (mit einem Wall oder einer Hecke), damit sie ihnen nicht entzogen werden, und zu den gemeinsamen Arbeiten einer ausbleibt, so daß die anderen wegen dieses Ungehorsams seinen Hof zupfählen ohne den Willen des Amtmanns, so sollen die Täter dafür Brüchte zahlen. Hier wird also den Bauern, die gemeinschaftlich ihre Acker gegen Wildschaden umzäunen, verboten, gegen den Bauern, der sich an der gemeinsamen Arbeit nicht beteiligt, im Wege der Zupfählung seines Hofes einzuschreiten, also die eigenmächtige Bestrafung untersagt.

 

War ein todeswürdiges Verbrechen begangen worden, so konnte jeder mit dem Ruf „Wapen“ (zu den Waffen) den Verbrecher festnehmen und in einem sofort zusammengetretenen Notgericht (sog. Schreigoding) auf der Stelle aburteilen und töten lassen. War aber der Übeltäter geflohen, was sehr oft vorkam, oder hatte er sich an eine Freistatt (Kirchhof, Kloster oder einen sonstigen seit alten Zeiten dazu ausersehenen Ort) geflüchtet und hatten die Anstrengungen seiner Sippe, mit dem Geschädigten zu einer friedlichen Aussprache zu kommen, keinen Erfolg, so mußte der Verletzte oder der nächste Verwandte des Getöteten sich an das Gericht wenden. Der Kläger „beschrie“ dann, wenn es sich um eine Straftat handelte, die mit dem Tode oder Ver-stümmelungsstrafen geahndet wurde, den Täter dreimal mit gezogenem Schwerte und dem Rufe „Wapen“ vor Gericht, worauf das Gericht ihn dreimal zum Erscheinen aufforderte. Kam der Geladene nun auch nach drei Ladungen nicht zum Richter, so mußte ihn das Gericht im Endurteil für friedlos erklären. Damit war der Täter aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen, sein Vermögen konnte vom Kläger beschlagnahmt werden, der Täter selbst von jedem bei Ergreifung getötet werden. Dieses alte Verfahren bei Flucht des Verbrechers wurde nun allmählich auch angewandt, wenn der Schuldner einer Geldschuld nicht zum Gerichtstermin erschien und damit beharrlich sich weigerte, seinen Gläubiger zu befriedigen oder wenn er ein Auswärtiger war, der flüchtig geworden war.

 

Auf diese Weise sollte der öffentliche Ungehorsam des Beklagten gebrochen werden. Namentlich vor dem Freigericht der Feme wurde bei Weigerung des Beklagten, einer Gerichtsladung Folge zu leisten, geklagt mit dem Ziele, den Beklagten für friedlos zu erklären.

Eine so weitgehende Folge der Nichtzahlung einer Schuld mußte aber als eine Ungerechtigkeit, eine Verwilderung der Rechtssprechung empfunden werden. Auch andere Mißstände rissen im 15. Jahrhundert ein, der Richter war säumig in der Anberaumung der Sitzung, die vorgeladenen Teilnehmer, die als Umstand das Urteil weisen sollten, waren der Parteilichkeit verdächtig. Es kam auch vor, daß sie sich weigerten, eine Entscheidung zu fällen, sie fühlten sich dazu nicht rechtskundig genug. Da der Gang des Verfahrens im Laufe der Zeit immer schleppender wurde, so war die Übung aufgekommen, sich an den Richter allein zu wenden, um durch seine Besprechung mit dem Schuldner zu einer schnelleren außergerichtlichen Einigung zu kommen. Auch der Landesherr wurde in solchen Fällen angegangen und wies dann die Entscheidung einem Richter als sogenannte Kommission zu. Alle diese Mißstände waren Ende des 15. Jahrhunderts häufig Gegenstand von Beschwerden der Landstände (Adel und Städte), bis der klevische Herzog durch Gerichtsordnungen Abhilfe schaffte.

Auch für das A m t s g e r i c h t B o c h u m machte sich das Bedürfnis nach einer Regelung des Prozeßverfahrens geltend.

„D e r H e r z o g J o h a n n e r l i e ß a m 14. 2. 1514 f ü r d a s G e r i c h t e i n e s o l c h e O r d n u n g. Sie gibt uns ein anschauliches Bild von dem damaligen Prozeßgang, der sich noch ganz in den alten einfachen Formen bewegt. Die Ordnung folgt dem Prozeßverlauf. Sie verbietet den Parteien mit mehr als zwei Bekannten oder Freunden, die den Umstand bilden, zu erscheinen, damit dieser Umstand unparteiisch beraten konnte und nicht dadurch, daß der reiche Mann mit vielen Freunden, der arme nur mit einem Bekannten erschienen war, dem ersteren die Möglichkeit gegeben war, durch seine zahlreichen Freunde bei der Beratung des Umstandes den Vertreter des Armen zu überstimmen. Der Urteilsweiser wird gehalten, den Umstand zur Fällung einer Entscheidung zu veranlassen. Fühlt dieser sich nicht rechtskundig genug, so soll der Urteilsweiser den Richter veranlassen, Klage und Klagebeantwortung in einem verschlossenen Schreiben dem zuständigen Oberhof – das war das Hochgericht oder die Landveste von Lüdenscheid für das Bochumer Gericht – zu übersenden mit der Bitte um Rechtsweisung. Nach Eingang dieser Entscheidung und Anberaumung eines neuen Gerichtstages sollte dann der Urteilsweiser die getroffene Entscheidung dem Umstande zur Kenntnis vorlegen. Wollte dieser sie nicht billigen, so verfiel er in eine hohe Brüchte, wie sie für Gewalttaten vorgesehen war. Bezüglich der oben erwähnten frühmittelalterlichen Klage mit dem Schwerte und Waffengeschrei verbot die neue Gerichtsordnung ihre Anwendung auf Schuldforderungen und Klagen unter Einheimischen überhaupt und gegen Auswärtige dann, wenn diese sich vorher zur Leistung im Falle der Verurteilung amtlich verpflichtet hatten. Die Schwertklage wurde damit auf die alten schweren Straftaten beschränkt. War eine am Leibe zu strafende Tat den Beamten (Richter, Frohne und Amtmann) zur Kenntnis gekommen, so sollte der nächstwohnende sofort den Täter gefangen setzen und den Fall dem Landesherrn melden, der bei Tötungen in allen Fällen nachgewiesener Fahrlässigkeit dann von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch machte.

Wir ersehen aus dieser Anordnung, daß der Landesherr über alle wichtigen Vorgänge von seinem Amtmann unterrichtet wurde. Er ordnete dann je nach der Schwere des Delikts an, daß der Täter zu einer Leibesstrafe ver-urteilt werden sollte, oder bestimmte, daß die Sache vom Richter durch eine Brüchte (Geldbuße) ihre Sühne fand.

Schließlich werden die drei Beamten noch ermahnt, sich bei allen Angelegenheiten innerhalb der Grenzen ihres Amtes zu halten und die Untertanen nicht mit ungebührlichen Befehlen von der Kirchenkanzel (Kirchengerüft) zu behelligen.

In einem aus Homberg am Niederrhein datierten Begleitbrief, der an den Amtmann und Richter gemeinsam gerichtet war, forderte der Herzog sie auf, die Gerichtsordnung sofort in den Kirchen von der Kanzel verkündigen und an allen Kirchentüren anschlagen zu lassen, ihre Befolgung streng zu überwachen und jeden Verstoß zu melden, andernfalls „sie unseren Ernst spüren sollten“.

Ordnung für das Gericht des Amtes Bochum

(hochdeutsche Übertragung)

Wir lassen wissen unserem Amtmanne, Rentmeister und Fronen und allen unseren Einwohnern unseres Amtes Bochum, daß eine Zeit lang ein unordentliches und unschickliches Wesen in unserem Amt und insbesondere an unserem Gericht vorgekommen und gehalten worden ist, wie wir das vor und nach so lange, wie wir das märkische Land regieren, zur maningfaltigen Klage und Beschwerde gehört haben. Um dem zuvorzukommen und fortan einem jeden sein Recht gebührlich und ordentlich ohne jemandes unbilligen Einspruch widerfahren zu lassen und damit auch sonst andere Sachen ihren ordentlichen Gang nehmen, haben wir ihnen unsere Grundsätze darüber festlegen lassen, die ihr nun von Punkt zu Punkt vernehmen mögt.

 

Es soll der Richter einem jeden, der damit zu tun hat, Gericht und Recht unparteilich widerfahren lassen zu gebührlichen Zeiten nach Gerichts Recht und altem Herkommen und Gewohnheiten und das Gericht zum mindesten acht Tage vor dem Gerichtstag in der Kirche verkünden lassen. Der Richter soll kein Gericht aufsagen oder aufschieben, es sei denn mit unserem besonderen Wissen und Befehl. Der Amtmann und Richter sollen auch keine Sachen vor dem Gericht absetzen in der Absicht die Parteien gütlich zur Einigung zu bringen, es sei denn, daß beide Parteien dieses begehrten; sind aber mit der Verhandlung für uns einige Brüchten (Geldbußen) verbunden, so soll die Sache nicht von dem Gericht gezogen werden, sondern fortan gerichtlich weitergeführt werden, auf daß wir dadurch an unseren Brüchten nicht gekürzt werden. Kann doch der Amtmann oder Richter bei der Vermittlung an den gebührlichen Gerichtstagen zwischen den Parteien die Sache gütlich verhandeln, damit sie befriedigt und vertragen werden mögen, wobei unsere Brüchten gewahrt bleiben. Wenn der Richter an der Gerichtsbank die Verhandlung vorbereitet hat, wie sich gebührt, soll er sofort einem jeden Bann und Friede gebieten, so daß niemand – er sei Ritter oder ein anderer Mann – in dem Gericht weiter sprechen darf außer mit seinem ausgesuchten Vorsprecher (Rechtsanwalt) bei Androhung der höchsten Brüchte, soviel und häufig und von wem das auch geschehe. Die Parteien, die an dem Gericht verhandeln sollen, dürfen auf den Gerichtstag keine Leute mehr mitbringen von denen, die in demselben Gerichtsbezirk ansässig sind, als einen oder höchstens zwei von ihren nächsten Verwandten, Freunden oder Nachbarn, weil uns täglich geklagt wird, daß durch die Menge der Freunde, die die Parteien auf ihren Gerichtstag bitten, die Urteile nicht an die passendsten und sachverständigsten Leute zum Urteilsspruch gestellt und nach rechter Sitte ausgesprochen und gewiesen werden können und dadurch die Parteien insbesondere die arme Partei am meisten an ihrem Recht verkürzt und verhindert bleibt, was aber ungebührlich und ungöttlich ist und wir nicht leiden wollen; und wenn eine Partei sich über diese Anordnung hinwegsetzt, sollen der Amtmann, der Richter und Frone bei ihrem Eide darauf acht geben und dieselbe Partei uns in die höchste Brüchte verfallen sein. Und wenn dann das Urteil von dem Richter an jemanden von dem Umstand gestellt wird, soll derselbe mit dem Umstand das Urteil zur Stunde geben, es sei denn, daß diese nicht das Urteil fällen können aus Unkenntnis und sich von ihrer Urteilspflicht mit ihrem Eid freimachten, alsdann soll der Urteilsweiser sich genügend Zeit nehmen nach Gerichtsrecht und auf Kosten der Parteien mit der Übersendung der Ansprache und Klageantwort in einer verschlossenen Schrift des Richters zu Haupte (vom Oberhof) sich belehren lassen und dann den nächsten folgenden Gerichtstag ohne längeres Zögern das Urteil des Hauptes einbringen und übergeben und wenn der Umstand diesen Spruch nicht annehmen will und dagegen sich widersetzt soll er in die Gewaltbrüchte verfallen sein, die auch der Richter sofort im Gericht bei seinem Eide aufzeichnen und uns überliefern soll. Um Grundbesitz soll man verhandeln an der Stätte und an dem Platz, wo die Eigentümer nach der Lage des Grundstücks dingpflichtig sind und nirgendwo anders. Wenn zwei in demselben Gerichtsbezirk seßhaft sind, soll keiner den anderen mit dem Schwerte laden, auch wenn die beiden in zwei Gerichtsbezirken seßhaft sind, soll der eine den anderen nicht mit dem Schwerte laden, sofern der andere erbötig ist bei seinem Amtmann und Richter zu tun, wozu er schuldig ist, doch insbesondere soll niemand den anderen mit dem Schwerte laden oder vornehmen außer in Sachen, die zu den Klagen mit dem Schwerte billigerweise gehören, und nicht darüber hinaus. Alle Händel und Taten, die in unserem Amte geschehen mögen, die an dem Leib gebührlicherweise gestraft werden, es seien Totschläger oder andere, dieselben Leute sollen Amtmann, Richter und Frone zwar, wer von ihnen am nächsten dabei ist, zu allen Zeiten, so oft es geschehe, festnehmen und ins Gefängnis legen und dort behalten bis zu unserer Kenntnis oder wir gedenken solches ihnen im Wege der Gnade zu verzeihen. Fortan sollen sich Amtmann und Richter, Rentmeister und Frone mit dem Kirchengerüft oder Aufruf ein jeder verhalten in den Grenzen seines Amtes und Befehls, wie ihm gebührt und von alters gewöhnt ist, und darüber hinaus soll keiner sich des anderen Amtes anmaßen. Dieses alles wollen wir fortan aufrichtig und genau von einem jeden gehalten sehen und so jemand dagegen handelt, wer er auch sei, werden wir mit Brüchten bestrafen wie diejenigen, die unser höchstes Gebot verschmähen und verachten, und danach mag ein jeder sich richten.

Zur Urkund dessen haben wir unser Sekretsiegel hier unten aufdrücken lassen. Gegeben und unterschrieben im Jahre 1514 auf St. Valentins Tag, des heiligen Märtyrers.

Diese Gerichtsordnung muß eine lange Zeit in Geltung gewesen sein, noch von Steinen Westf. Geschichte Bd. III S. 1431 schreibt 1755 „die berühmte alte Bochumsche Gerichtsordnung hat Herzog Johann II zu Cleve gegeben“. Wortlaut der Gerichtsordnung:

Ordinatie uptengericht in den Ampt van Boichem.

Wy laten weten unsen Amptmanne, Richter, Rentmester ind Vroenen ind vort allen unsen undersaten unsers ampts van Bouchem tosamen ind eyn yeder besonder, dat ind alsoe vast eyne tyt lank bis anher unordentlichen ind unschickelich wesen ind regiment nu in unser ampt aldair ind sunderlingh an unse gerrichten, also wy des soe voir und nae, die wyle wy dat landt van der Marke in unsen gebruyck gehadt, mannigvoldich bekroeden ind klaige gehoirt heben, vurgenomen ind gehalden worden is ind umb dan sulches vur to komen ind dat voirt meir eynen yedere dat recht geboirlich ind ordentlich sonder ymantz unbillich verhynderen wederfaeren oich sus andere saeken bequemelich gehalden werden moigen, heben wy in unsre meynungen dair up doin verramen wy ghy van punthen to punthen die hiernae vernemen moigen. Sall die Richter eynen jederen, die des to dain hefft. gericht und recht unpartielich wederfaren laiten tot geboirlichen tyden nae gerichts rechte ind alden herkomen lud gewoenheit ind dat gericht in der kerken dom verkündigen the minsten acht dage vur den gerichts dag, doch ungewerlich; die Richter en sah geyne gerichten upsteyllen aider versten then were by unsen sunderhingen weten ind bevehell. Die Amtmann aider Richter en sall oich gheine saeken van den gericht upnetnen der meynunge die parthien guetlich to vertraigen, then were dan dat sy des toe beyden zyden begerden, doch weren uns darinne eynighe broicken gelegen, sall die saeke nyet van dem gericht getaigen sonder voirtan aldair gerichtlich gevurt, up dat wy dairdurch an unsen broiken niet verechtert werden, kan doch die amtman aider richter inne midlen tyden stainde die geboirliche gerichts dage tuschen den parthien wes guetlichs handellen, dair mede sy gefredicht ind verdraigen werden moigen, wy lyden uns doch an unsen broiken wie vurß, unschedelich. Als die Richter sich an die bancke gededinght hevet, wie sich geboirt, sall hie ter stont eynen yeden banne ind vrede gebieden also dat nymantz wie die oich sy ritterman aider anderen in dem gericht voirder an spreke dan mit synen gewonnen vurspreke ind dat by eyner penen van der hoichster broicken soe duicke ind vaike ind van weme dat geschege. Die parthien, die an den gerichte dedingen sullen, dair en sall oire egein voirder luyde up synen dach bidden die in demselven gericht geseten weren dan oire eyne aider twe then hoischsten van oeren nyesten verwandten, frunde aider nabueren, want uns degehix mit claigen vurkompt dat durch menichfoldicheit der frunde, die die parthien alsoe up oiren daigen bidden, die ordehlen an den bequemen luyden, die des verstendell ind wittich syn, nyet bestayt alder van syt uytgesproicken ind gewesen moegen werden lud dair durch die parthien ind in sunderheit die armen id merste an oeren rechten vertaigen, torugh gestell ind verhyndert blyven, dat alsoe ungeboirlich ind ungotlich is ind wy nyet to lyden gedenken, lud soe ymantz van den parthien hier en boeven dede, des die amtman, richter ind vroenen by oeren eyden acht nemen sullen, sulde die selve parthie uns oick in de hoichste broike wie vurß. erschenen ind verfallen syn. ind als dan dat ordell van den richter bestait is an ymnatz van den umbstand sall dieselve mit sampt den umbstand dat ordell voirt ter stont geven then were dan sy des nyet wysich ader verstendell weren ind sich des mit oeren eyden wie sich geboirth reynichden, asdan solde der wyser syne geboirliche tyt nemen moigen nae gerichts rechte sich dair op up cost der parthien mit over-schikingh anspraike ind antwordt in besloitener schryfft des richters to hoeffte to belern ind dan den yrsten volgenden gerichts dagh sonder lenger vertrack dat ordehl van den hoiffde in brengen ind overgeven ind off die umbestant sich des nyet aff en noemen were vurß. ind dairenne wrevelich wurde sy were nu hoeffluyde aider anderer, sullen uns dieselven in die gewaltbroike gefallen syn, die oich die richter ter stont in dem gericht by synem eydt upteikenen ind uns averleveren sall. Umb erffteill sall men dedingen ther stede ind plaitzen, die erven nae oeren natueren dinckpflichtig weren ind nergentz anders. dair oire twe in eynen gericht geseten weren, soll nyemantz den anderen eyschen mitten swerde oich sie in twe gerichten geseten werden en sall die eyne den anderen nyet eyschen mitten swerde, soe verne der andere oirbeidich were, to doin unvertaeglich by synen amptman ind richter des hier oin verpflicht ind schuldich were doch inne sunderheit es sall nyemantz den anderen mitten swerde eyschen aider vurnemen dan in saichen die in des swertz klagen billich gehoeren ind nyet voirder, alle hendell ind geschafften, die in unsern ampt vurß. geschien moegen, die an dem lyve billichen straiffbar syn, id werden doitsleger aider anders sullen amptman, richter ind vroenen eyn yder van oen, die id nyste darby were, die selven to allen tyden soe ducke das geschehe, anfangen ind gefencklich legen ind behalden bys an uns off wy gedenken sulches an sy to verhaelen. Sall sich voirtan amptman, richter, rentmeister ind vroenen mitten kirchengerucht aider spraicke eyn yeder halden in synen ampt ind bevell, woe oen geboirt ind van alders gewoentlich is ind dair en boeven sich nymantz des anderen amptz ind bevell to underwinden in geynerleye maniere, dit allet woe vurß. willen wy voirtan uprecht ind strack van eynen yedermann aldair gehalden heben ind soe ymantz dair tegen dede, hie were wye hie were, gedaechten wy oen mit foederongh der broeken ind sus anders die unse gerichte geboth versmahet aider veracht heden dair voir an to sien dairna sich eyn eyder ind beste mach vortan to richten.

Inne Orkund heben wy unsen secret siegell hier unden doin drucken. Begeven in den jaren unsers heren millesimo Vc. ind verthien up sent valentins dach des heyligen mertelers (14. Februar 1514).

Bevhels briff upter vurschreven Ordnung.

Lieve getruwen, wy heben nu mit bedyncken unser rede ind guden voirbedachten gemuede eyner nyer ordinantie doin verramen up ten gerichten ind anders in unsen ampt aldair als wy des nae menichfoldigen claigen uns vur ind nae geschiet sunderlingh van noiden heben befonden ind schicken u hier by dieselve ordiantien under unsen secret siegell besegelt acht ind is unse ernstige meyninge ind bevell dat ghy van unser wegen die ther stondt in kirche dom verkondigen ind uytroipen ind die voirt an den kerchdoeren unsers amptz aldair upslain laiten dat sich voirt meir eyn yeder dair nae mach weten to richten ind wy bevelen u mede by soe lieff u unse hulde ind genade is ind by den eyden ghy uns gedain heben, soe ymant wie die oich were dieselve ordinantie avertrede ind die broichchafftich werde dat ghy uns sulche andraigen umb unser meynungen dair up wieder to vernemen, ind deden ghy des nyet, dechten wy u dair voir an to sien, dat ghy unsern ernst darin spoeren solden, ind dairumb wilt u hier inne, so u doch van amtz wegen bethempt ind geboirt, gevlytych ind myt truwen bewysen als wy uns des tot u alsoe gentzlich versien md verlaiten.

 

Begeven tot Hamborch (Homberg) up donrestach nae sent valentins dach anno xvc xiiii.

 

Den Amptman ind Richter tot Bouchem tsamen ind besonder.

 

War man mit dem Urteil nicht zufrieden, so konnte man an den Landesherrn appellieren, später richtet dieser sogenannte Hauptfahrten ein, (Fahrt zur Haupt-Berufung an ein angesehenes Gericht). Es wurde also eine Berufungsinstanz eingerichtet, von dieser konnte man in letzter Instanz sich an das Hofgericht in Kleve wenden. Nach Errichtung des Reichskammergerichtes (1496) entschied dieses als letzte Instanz bei Vorliegen einer gewissen Revisionssumme. Als Berufungsgericht wurde für die Amtsgerichte das Hochgericht oder die Landfeste von Lüdenscheid bestimmt. Dieses Gericht war auch seit alten Zeiten der sogenannte Oberhof gewesen, wo man sich Rechtsberatung geholt hatte. In einem Erlaß des Herzogs vom Jahre 1530 (op unser lieven frauen abend nativitatis) heißt es: man soll, nachdem das Gericht zu Bochum und Wattenscheid eine Weile stillgestanden hat, das Gericht sofort wieder öffnen, und wenn jemand mit dem Urteil sich graviert glaubt so soll er nach Lüdenscheid appellieren, „dat over lange jaren oire geboirliche hoefft gewist“ (Märk. Reg. Bd. 12 Bl. 77).

Die bäuerlichen Gerichte waren wenig geeignet Träger des Fortschritts in der Rechtsprechung zu sein, weil sie zu wenig Spruchpraxis besaßen. Die Rechtskenntnisse der Bauern beruhten ja nur auf Überlieferung, auf Gewohnheitsrecht; der starre Formalismus führte überdies zu einem schleppenden Verlauf des Prozesses. Allmählich begann durch die Einführung eines mit rechtsgelehrten Richtern besetzten Landesobergerichts (Hof-gericht in Kleve) und durch die Tätigkeit rechtsgelehrter Anwälte (statt der bisherigen Vorsprecher) das auf Universitäten gelehrte römische Recht unter dem Einfluß der Idee, daß das deutsche Recht eine Fortsetzung des alten römischen Kaiserreichs sei, auch in den bäuerlichen Landgerichten Anwendung zu finden. Die Parteien brachten durch ihre gelehrten Vorsprecher, die jetzt Prokuratoren heißen, die Gemüter der bäuerlichen Urteils-finder in Verwirrung; diese suchten sich, weil sie sich immer mehr rechtsunkundig fühlten, vor der Entscheidung des Prozesses zu drücken und überließen diese dem gelehrten Richter.

 

Schließlich wurde der Gerichtsumstand nicht mehr zu den Gerichtssitzungen herangezogen und auch bei den gerichtlichen Beurkundungen von Rechtsgeschäften (der sog. Freiwilligen Gerichtsbarkeit) wurden durch die Tätigkeit der rechtsgelehrten Notare die bäuerlichen Standgenossen überflüssig. So drang im Laufe der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts römisches Recht auch in die märkischen Gerichte ein; Obschon unvolkstümlich in seiner Art wurde es doch wie eine neue Offenbarung hingenommen. Anstelle des alten mündlichen öffentlichen Verfahrens trat jetzt der langwierige schriftliche Prozeß, es wurden Akten angelegt, die vom Gerichtsschreiber geführt wurden. Es entschied schließlich der Richter allein ohne Umstand den Prozeß, wobei er meistens die Akten zur Urteilsfindung an eine rechtsgelehrte Behörde (Universität) einsandte, da er selbst damals noch kein Jurist mit Universitätsbildung zu sein brauchte. So wurde immer mehr von der Möglichkeit des „Ratsuchens“ bei einer juristischen Fakultät oder einem angesehenen Obergericht (Haupt) Gebrauch gemacht.

Eine wirkliche Unterscheidung von bürgerlichem Prozeßverfahren und Strafverfahren entwickelte sich erst mit der Einführung der peinlichen Gerichtsordnung des Kaisers Karl V. vom Jahre 1532. Sie führte in „peinlichen Sachen“ das nicht öffentliche, schriftliche Untersuchungsverfahren mit der „peinlichen Frage“ (Folter) ein und ließ nur noch eine öffentliche Verhandlung mit Schöffen zur Verkündigung des Urteils zu. Zu Schöffen wird man im Bochumer Gerichtsbezirk die „Sieben Freien“ herangezogen haben, jenen Rest der ehemalig in größerer Anzahl seßhaft gewesenen Freibauern. Ankläger im Kriminalverfahren war jetzt als eine Art Staatsanwalt der märkische Fiskalanwalt ein Beauftragter des märkischen Grafen, der nach seiner Weisung auf Anzeige eines Verbrechens einschritt, die Verhaftung des Verbrechers bei Gericht durchsetzte und die Vollstreckung des Urteils überwachte. Bei geringfügigen Delikten, die mit einer Geldbuße (= Brüchte) geahndet werden konnten, setzte auf Weisung des Landesherrn diese Geldbuße in einem sog. Brüchtending der Richter mit dem Drosten fest. In den Anstellungsurkunden des Drosten Johann von Aldenbockum von 1511 heißt es: er soll alle Vergehen durch Richter und Fronen aufschreiben lassen und zweimal im Jahre sollen durch einen Beamten (später den märkischen Landesschreiber) im Beisein des Drosten die Geldbußen festgesetzt werden. Später wurde eine „Brüchtenordnung“ eingeführt (1550 und 1681). Nach Übergang der Grafschaft Mark an Brandenburg-Preußen nahm die Regierung allmählich Einfluß auf die Urteilsfindung. Der Richter mußte in Strafsachen in allen schwe-ren Fällen erst die Anweisung der Herzoglichen Regierung in Kleve abwarten. Die Schöffen wurden nach der Einführung der klevemärkischen Kriminalordnung von 1721, die nur den Richter und den Aktuar als Ge-richtspersonen kannte, nicht mehr zu den Verhandlungen hinzugezogen. Schon vorher entschied der Richter in Zivilsachen allein. Damit hatte eine jahrtausendalte Beteiligung des Volkes an der Rechtssprechung auch in Strafsachen ihr Ende gefunden. Über die Tätigkeit des mehrfach gestreiften Freigerichts, als dessen Schöffen wir die Sieben Freien, über die im 2. Bande des Bochumer Heimatbuches ausführlicher geschrieben wurde kennen lernten, soll im nächsten Bande dieses Heimatbuches berichtet werden.

 

Impressum

1954 Bochum Ein Heimatbuch

6. Band

 

Herausgegeben von der Vereinigung für Heimatkunde E.V.

 

Druck und Verlag:

Märkische Vereinsdruckerei Schürmann und Klagges – Bochum 1954