Die Gärten des Carl Friedrich Gethmann

In Blankenstein über der Ruhr.

 

Benno Eichholz

 

Die pragmatisch-romantische Auffassung einer westfälischen Landschaft und ihr Ausdruck in einem Garten-

kunstwerk.

 

Das Ruhrtal hat in einem ganz außergewöhnlichen Maße dem Landschaftsgefühl der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts entsprochen.

Der Fürst Hermann von Pückler-Muskau (1785-1871), Schöpfer zweier exemplarischer ”Seelenlandschaften” in Muskau und Branitz und mit Friedrich Ludwig von Sckell (1750-1823) und Peter Joseph Lenné (1789-1866) ein Hauptvertreter der deutschen Gartenarchitektur des 19. Jahrhunderts, hält im zweiten der ”Briefe eines Verstorbenen” den Eindruck fest, den das Erlebnis der Ruhrlandschaft im September 1826, auf seiner Reise nach England, bei ihm hinterließ:

”Die Gegend, durch welche mein Weg führte, gehörte einer anmutigen und sanften Natur an, besonders bei Steele an der Ruhr, ein Ort, für den gemacht, der sich vom Getümmel des Lebens in heitre Einsamkeit zurückzuziehen wünscht. Nicht satt sehen konnte ich mich an der saftig frischen Vegetation, den prachtvollen Eichen- und Buchenwäldern, die rechts und links die Berge krönen, zuweilen sich über die Straße hinzogen, dann wieder in weite Ferne zurückwichen, aber überall den fruchtbarsten Boden begrenzten, braun und rot schattiert, wo er frisch geackert war, hell oder dunkelgrün schimmernd, wo junge Wintersaat oder frischer Klee ihn bedeckten. Jedes Dorf umgibt ein Hain schön belaubter Bäume, und nichts übertrifft die Üppigkeit der Wiesen, durch welche sich die Ruhr in den seltsamsten Krümmungen schlängelt. Ich dachte lachend, daß, wenn einem prophezeit würde, an der Ruhr zu sterben, er sich hier niederlassen müsse, um auf eine angenehme Weise die Prophezeiung zugleich zu erfüllen und zu entkräften.”

Oft bleibt allerdings das von Fremden Bemerkte dem Blick und dem Gefühl des Autochthonen unzugänglich. So muß es zunächst überraschen, daß der Blankensteiner Bürger Carl Friedrich Gethmann (1777-1865), Sohn und Erbe eines Tuchfabrikanten und Gewerken mit wachsenden Berganteilen, Begründers schließlich einer Werft an der eben schiffbar gemachten Ruhr, selbst sodann Reeder und Kohlenfernhändler, am 2. Mai 1806 um Überlassung von Kämmereigrund zwischen seinem bisherigen Garten und der Ruhr bat. Er wollte ”auf diesen Flecken, der eine schöne Aussicht ins Ruhrtal gewähret, eine Partie seines Gartens aus(.)dehnen und eine Anlage zu seinem Vergnügen (.)machent”.

Daß er und der damalige katholische Pfarrer von Blankenstein für die Wahrnehmung der landschaftlichen Schönheit ihrer nächsten Umgebung auch durch die Arkadientopik der lateinischen Literatur empfindsam gemacht worden waren, scheint das Motto eines Gratulationsbriefes zu verraten, den der Pfarrer dem im Jahre 1809 zum Maire der Munizipalität Blankenstein ernannten Carl Friedrich Gethmann schrieb: ”Oh Meliboee, deus nobis haec otia fect”(Vergil, Eklogen 1,6).

 

Die Ausgestaltung des ungepflegten Ruhrabhanges, der nach der ländlich-nutzenbetonenden Denkweise des vorsentimentalen Zeitalters bei den Blankensteinern den Namen Rampelduse geführt hatte, zu einem Landschaftsgarten ist aber vor allem von der Revolution des Naturgefühls im Zeitalter Rousseaus veranlaßt worden, als der englische Landschaftsgarten sich den Kontinent eroberte.

 

Carl Friedrich Gethmann hat das zunächst gepachtete (1840 erworbene) Areal zwischen 1807 und 1817 erweitert. Etwa 1808 begann er mit der Gestaltung eines Aussichtsplatzes über dem Ruhrabhang. Einen abgestürzten Felsblock machte er zum Mittelpunkt einer Grotte. Zwei erhöhte Aussichtspunkte entstanden und wurden durch eine Allee verbunden; eine weitere Allee führte zum Ruhrhang zurück, wo um 1830 ein Belvedere entstand. Nach einer alten Beschreibung des Gartens waren auch eine Eremitage und ein Tempelchen errichtet worden. Als Gesamtkonzeption war die Anlage abgeschlossen 1821 mit dem Bau eines neuen Wohnhauses an der jetzigen Hauptstraße in Blankenstein, auf einer ”Probstei” genannten Liegenschaft, das über einen Terrassengarten zum Landschaftspark in unmittelbare räumliche und optische Beziehung gesetzt wurde.

 

Nimmt man alles in allem, Haus, Garten und Park, so unterscheidet es sich deutlich von der Art, in der eine selbstbezogen-spielerische Form der Romantik sich künstliche Reize und imaginäre Lebensräume schuf, um ”wie ein Springbrunnen immer wieder in sich selbst”, in ihre von Eichendorff entlarvte und kritisierte ”Selbstbespiegelung zurückzufallen” (Friedrich Heer). Vielmehr ist da mit Heiterkeit und mit offenem Blick für die Schönheit des realen Lebensraums eine ernsthafte Tüchtigkeit am Werk, die Natur und Kunst in einem goe-theschen Sinne aneinander bindet und vom Garten her das gewerbliche Wirkungsfeld erschließt.

Während der Gethmannsche Garten entstand, erschien 1809 Goethes Roman ”Die Wahlverwandtschaften”, dessen innere und äußere Handlung so stark verknüpft ist mit der gärtnerischen Gestaltung einer Landschaft, mit Denkmalspflege und Hausbau. Goethe erwies sich damals ja auch als ein Praktiker der Gartenkunst, der, angeregt vor allem durch den Wörlitzer Park des Fürsten von Anhalt-Dessau und beeinflußt von der ”Theorie der Gartenkunst” Christian C. L. Hirschfelds, den Weimarer Park schuf, der seinen Garten am Stern und den Garten bei seinem Stadthaus sehr bewußt anlegte und pflegte und für den sein Gartenhaus eine wirkliche Lebens- und Arbeitsstätte war.

Es läßt sich nun aber zeigen, daß der Blankensteiner Bürger sehr ernst zur sozialen und wirtschaftlich-gewerblichen Realität seiner Umgebung in Beziehung setzte, was sich die Akteure in Goethes Roman als Ressource und Folie eines auf sich beschränkten Gefühlslebens schufen. Insofern überholten hier Unternehmungen, die aus den gleichen Gefühlskräften und Zeitströmungen aufgebrochen waren und mit gleichen gestalterischen Mitteln wirkten, die Versuche in dem berühmteren literarischen Entwurf.

 

Die kleine Blankensteiner Anlage von Park, Haus und Garten Carl Friedrich Gethmanns läßt sich aber sehr wohl erklären und interpretieren mit Hilfe der allgemeinen zeitgenössischen landschafts- und gartengestalterischen Empfindungen, Grundsätze und Entwicklungstendenzen, die sich in einer eigenen Fachliteratur und in parallelen literarischen Entwürfen, besonders deutlich in Goethes ”Wahlverwandtschaften” und in Joseph von Eichendorffs Roman ”Ahnung und Gegenwart”, der 1815 erschien, ihren Ausdruck verschafften. So kann neben der exemplarischen Bedeutung der Gethmannschen Anlage auch ihre Besonderheit hervortreten. Und umgekehrt: theoretische Entwürfe und dichterische Ausarbeitungen lassen sich durch diese Anlage und in ihr anschaulich machen. Das richtige Verfahren dafür scheint ein ”Perihegese” zu sein, ein historisch-literarisch hinterlegter Rundgang durch Hausplatz, Terrassengarten und Landschaftsgarten. Dabei soll die Gesamtgestaltung gegenläufig zur Entstehungszeit ihrer Teile durchschritten werden.

 

Beginnt man also die Betrachtung bei der Hausanlage an der Hauptstraße, so wird man zuerst von einem Parterre aufgenommen, das um einiges höher als die Straße parallel zu dieser verläuft und dessen beide Schmalseiten von dem zweigeschossigen Wohnhaus und von einem gegenüberliegenden eingeschossigen Gebäude begrenzt werden: Es diente nach der Familientradition zunächst der Aufstellung einiger Webstühle, dann mit seinen vorderen Räumen als Lernraum (”Schule”) für die Kinder der Gethmanns, mit den hinteren Räumen als Scheune. Die Einheitlichkeit der Anlage wird gewährleistet durch die gleichmäßige Schieferbekleidung beider Häuser und durch das klare symmetrische Gefüge ihrer fünfachsigen Fassaden. Der typisch klassizistische Ernst der Gestaltung erscheint aufgehellt durch die weißen Rahmen der Fenster; das Wohnhaus ist betont durch ein weiß-gefaßtes Kranzgesims, seine Tür hervorgehoben durch eine dreistufige halbkreisförmige Treppe.

 

Die Eingänge beider Gebäude werden von kugelförmig beschnittenen Kastanien flankiert. Das Hofparterre ist mit sorgfältig bearbeiteten Sandsteinplatten belegt, wobei symmetrisch vier Rasenflächen ausgespart wurden. Die Heranziehung von natürlichen Elementen, die dem Willen des Gestalters in freundlicher Klarheit unterworfen sind, verweist schon hier im Bereich der Hausanlage auf die Rolle, die der Terrassengarten für die Gesamtgestaltung spielt.

 

Er wird durch eine zweite Achse symmetrisch gegliedert, die die Achse des Parterres in ihrer Mitte rechtwinklig schneidet. In dieser Gartenachse liegt die Treppe, die von der Straße zum Hofparterre, und eine zweite, die von diesem zum Garten hinaufführt, seitlich begrenzt von Mauern mit vasenbekrönten Pfeilern; und es sind auf ihr in der Folge noch zwei weitere Treppen, die die beiden Terrassen des in den Hang gearbeiteten Gartens miteinander verbinden und den Blick auf eine Sonnenuhr in der Mitte der zweiten Terrasse und schließlich auf einen über der Anlage optisch schwebenden, offenen weißen Pavillon lenken. Am Dachrand mit gedrechselten hölzernen Glöckchen behängt und mit einem vergoldeten Stern bekrönt, schließt er die Blickachse ab, bildet die beiden Gebäude des Hofparterres ideell gewissermaßen zu seinen Flügelbauten um und verfremdet, erkennbar als Chinoiserie verstanden, das Gesamtbild, indem er sich der ernsten und förmlichen Gediegenheit der Parterre- und Hausanlage als ein überraschendes und etwas unwirkliches Element zu- und fast überordnet.

Rechts seitlich schließt sich, ein wenig erhöht gegenüber der obersten Terrasse der Gartenachse und nicht einsehbar wegen deren seitlicher Heckenbegrenzung, ein großes Nebenkompartiment an, das wiederum symmetrisch und als Terrasse angelegt in der Mitte zum oberen Abschluß des Hanges hin von einem Rondell und im übrigen schon vom Wald des freieren Landschaftsgartens begrenzt wird. In diesen Waldstreifen eingebettet, an seinem östlichen Rande, liegt – mit Blick zur Ruine Blankenstein – ein größerer Sitzplatz.

Die Kuppe des Berges und den Abhang zur Ruhr bedeckt dann ein Park, der auf der Höhe noch Elemente der Regelmäßigkeit aufweist, zwei Alleen, die zwei Aussichtspunkte und einen früheren Sitzplatz verbinden, und der zum Fluß hin dann ein reiner Landschaftsgarten ist. Dies sind die Hauptlinien des Aufbaus.

Beim Anstieg in der Achse des Terrassengartens, der um 1821 oder etwas später entstanden ist, sollte man sich der Funktion und des gartengeschichtlichen Ortes dieser symmetrischen Anlage vergewissern.

Hier wirkt nicht der direkte Einfluß der großen italienischen Renaissancegärten, so darf man annehmen, sondern die gleiche Bedingung der Hanglage. Terrassengestaltung hat aber zu ihrer ästhetisch befriedigenden Lösung eine axiale Treppen- oder Rampenfolge zur Konsequenz. (Diese Grundregel ist seit der Barockzeit allgemein anerkannt; beim Hasengarten in Heidelberg war sie – 1615 ff. – noch vernachlässigt worden.) Regelmäßigkeit wünschte auch Goethe für seinen Garten beim Hause, regelmäßige Beete, keine englischen Anlagen, und der Romantiker Ludwig Tieck zog für Gebirgsgegenden überhaupt den regelmäßigen Garten der Naturnachahmung vor. Die regelmäßige Anlage lebte also nicht nur im bäuerlichen Milieu fort, als die freiere Gestaltung des engli-schen Gartenstils das Feld zu beherrschen schien. Terrassenbildung ist zudem nur eine besondere Art der Aufteilung des Gartenraumes in Kompartimente – und Aufteilung war seit der Renaissance durchgehend das Merkmal des holländischen und flämischen Gartens; das entsprach vorzüglich der Funktion des Gartens als Aufenthaltsortes der Familie, von Freundesgruppen und Gesprächskreisen, wofür das Convivium religiosum des Erasmus von Rotterdam die bedeutendste literarische Bezeugung ist, die ihrerseits über die ciceronianischen Dialoge und vielleicht über die Gartenszene der augustinischen Confessiones an verwandtes antikes Empfinden anknüpft.

Im Gethmannschen Terrassengarten mußte sich das Gartenleben der Familie oftmals unter den Augen der Umwelt abspielen. Theodor Storms Novelle ..Die Söhne des Senators”, die zwar in Norddeutschland, aber in einem vergleichbaren gesellschaftlichen Milieu spielt, läßt eine soziale Funktion dieses offenen Gartenlebens erkennbar werden: Betrachtete und Betrachtende treten in eine bestimmte Sympathiebeziehung. Wie noch zu zeigen sein wird, wurde im Industriegebiet einige Jahrzehnte später dem öffentlichen Park zugetraut, er könne die Sitten verfeinern, indem er breitere Schichten mit dem Bürgertum in Verbindung bringe.

In den Wahlverwandtschaften beschäftigte Goethe der gestaltete freie Raum als Aufenthaltsort eher beim Landschaftspark; beim Haus- und Ziergarten ist es mehr der Gesichtspunkt der Pflege, der umsichtigen Bemühung um die rechten Gewächse zur rechten Jahreszeit, der ihn anzieht.

”Der Frühling war gekommen, später, aber auch rascher und freudiger als gewöhnlich. Ottilie fand nun im Garten die Frucht ihres Vorsehens: alles keimte, grünte und blühte zur rechten Zeit; manches, was hinter wohl angelegten Glashäusern und Beeten vorbereitet worden, trat nun sogleich der endlich von außen wirkenden Natur entgegen, und alles, was zu tun und zu besorgen war, blieb nicht bloß hoffnungsvolle Mühe wie bisher, sondern ward zum heitern Genusse.”

”So wenig der Gärtner sich durch andere Liebhabereien und Neigungen zerstreuen darf so wenig darf der ruhige Gang unterbrochen werden, den die Pflanze zur dauernden oder zur vorübergehenden Vollendung nimmt. Die Pflanze gleicht den eigensinnigen Menschen, von denen man alles erhalten kann, wenn man sie nach ihrer Art behandelt. Ein ruhiger Blick, eine stille Konsequenz, in jeder Jahreszeit, zu jeder Stunde das ganz Gehörige zu tun, wird vielleicht von niemand mehr als vom Gärtner verlangt.”

”Daß der Herbst ebenso herrlich würde wie der Frühling, dafür war gesorgt.”An dieser Stelle ziemt es sich, die außerordentliche denkmalpflegerische Leistung hervorzuheben, die darin besteht, daß die Familie Gethmann ihr Haus und ihren Terrassengarten mit feinstem Verständnis für deren Wert und für deren Bedeutung nicht nur unverändert erhalten hat, sondern den Garten mit Blumen der Jahreszeit entsprechend so ausstattet, daß er fortlebt.

Unter den Schutz des Landesdenkmalamtes ist der Besitz erst vor kurzem gestellt worden.

Der Pavillon wurde bei der Anlage des Terrassengartens so hoch auf eine runde Rasenaufschüttung gesetzt, daß sich von ihm aus vor der Errichtung des älteren katholischen Krankenhauses von Blankenstein ein Ausblick auf den gesamten Horizont vom Osten über den Süden bis fast zum Westen bot. Goethe, Wahlverwandtschaften: ”Laß uns den Freund gleich völlig auf die Höhe führen, damit er nicht glaube, dieses beschränkte Tal nur sei unser Erbgut und Aufenthalt; der Blick wird oben freier und die Brust erweitert sich.”

Die ansteigende Achse des Terrassengartens mündet hinter dem Pavillon schließlich in den Landschaftsgarten ein, der die Höhe und den zur Ruhr abfallenden Hang bedeckt: der rechte Ort, sich das Verhältnis beider Anlagen in der Auffassung der Entstehungszeit zu verdeutlichen.

Goethe und Schiller haben im Ausgleich von Bindung und Freiheit das Prinzip auch der Gartengestaltung gesehen. Schiller zum Gartenkalender für 1795:

”Soll also die Gartenkunst endlich von ihren Ausschweifungen zurückkommen und wie ihre anderen Schwestern zwischen bestimmten und bleibenden Grenzen ruhen, so muß man sich vor allen Dingen deutlich gemacht haben, was man denn eigentlich will, eine Frage, woran man, in Deutschland wenigstens, noch nicht genug gedacht zu haben scheint. Es wird sich alsdann wahrscheinlicherweise ein ganz guter Mittelweg zwischen der Steifigkeit des französischen und der gesetzlosen Freiheit des sogenannten englischen finden.”

Für Goethe kann hier auf die Maximen des Sonetts ”Natur und Kunst” verwiesen werden.

Die Gethmannsche Gesamtanlage verwirklicht den Ausgleich von Bindung und Freiheit auf ihre Weise: Im Bereich ihres Hausgartens sind in maßvoller Symmetrie Räume für das Beisammensein der Familie und ihrer Freunde geschaffen. Der Bereich des Landschaftsgartens ist vor allem auf die Nutzung und Gestaltung von freien Landschaftsräumen und natürlichen Landschaftselementen gestellt. Der eigenen Geselligkeit diente er gewiß weniger. Allen Außenstehenden, die ihn genießen wollten, stand er offen, wie noch zu zeigen sein wird. Zwei Elemente der Regelmäßigkeit sind auch in den Landschaftsgarten eingefügt. Auf dem Rücken des Hügels zunächst ein Weg, in der ursprünglichen Anlage eine Obstbaumallee, der über eine Distanz von etwa 500 Fuß hinwegeinen östlichen und einen westlichen Aussichtsplatz verbindet, zugleich aber nach Norden den Blick auf

eine waldumstandene Wiese öffnet und von einer angefügten, über Stufen zugänglichen Erhöhung aus nach Süden ”den größten Teil des zwischen Höfen und Gärten gelegenen Städtchens Blankenstein” sichtbar macht. Die im Grundriß bis heute unveränderte, durch mangelnde Stutzung oder Ausdünnung von Bäumen und durch Behinderung des wesentlichen Ausblicks nun an einigen Stellen etwas entwertete Gestaltung wurde 1837 im Elberfelder Intelligenzblatt sehr genau beschrieben. Carl Gethmann (1825-4882), ein Enkel Carl Friedrich Gethmanns, hat diese Beschreibung um 1855 kopiert und sie dabei mit ”mancherlei Zusätzen zur Vervollständigung” versehen. So liegt sie in dem vorzüglich geordneten Familienarchiv Gethmann noch vor.

Das zeitgenössische Ideal des Landschaftsgartens erhellt aus Friedrich Ludwig von Sckells ”Beiträge(n) zur Bildenden Gartenkunst” (1818):

”Die Natur ist es, die den neueren Gärten zum Muster dient; ihre so mannigfaltigen, unzähligen Bilder, die die schöne Erde zieren, schmücken nun auch unsere Gärten, aber ohne daß sie den allergeringsten Zwang einer ängstlichen Nachahmung fordern. Diese Bilder der Natur stellet nun die Kunst, im Einklange mit ihr, in mehreren zusammengesetzten Landschaften in den Gärten auf, die eine mit Geschmack verbundene Haltung in ein Ganzes vereint.”

Es war ”die Absicht des englischen Gärtners..., den Garten durch Verbergen der Grenzen als einen Teil der gesamten Welt der Natur erscheinen zu lassen, wobei der Garten ein durch Menschenhand veredelter, ein erlesener und nach den schönsten Vorbildern der Natur vervollkommneter Teil war”(Derek Clifford).

Deutschland hat Peter Joseph Lenné bei seinen Plänen für den ”Neuen Garten” und für den Park von Sanssouci (beide 1816) die Öffnung der Aussicht angestrebt; für ihn endete ”der Planungsauftrag nie an der Grundstücksgrenze”.

Es ist bemerkt worden, 1958 durch Heinrich Wefelscheid, wie Carl Friedrich Gethmann ”mit einem erstaunlichen Gefühl für die gegebene Lage” das Ziel der Landschaftsgärtner seiner Zeit, ”im Innern der Gartenanlagen dem Beschauer über weite freie Flächen hinweg das Bild einer völlig natürlichen, aber veredelten Landschaft vorzuzaubern”, ”nach außen hin verlagert” hat: ”Der schöne Aussichtspunkt und die unvergleichliche umgebende Landschaft sollen sich gegenseitig in ihrer Wirkung steigern.” Doch handelt es sich nicht eigentlich um eine Verlagerung des gärtnerischen Zieles, sondern um die Benutzung größerer Bildungen der Landschaft, ”wo sie von Natur aus gegeben sind”, im Rahmen der Parkplanung, wie es in den Beiträgen Friedrich Ludwig Sckells zur Gartenkunst (1818) als eine außergewöhnlich glückliche Fügung bezeichnet wird. Besser noch als das theoretische System des Gartenarchitekten vermag Eichendorffs Roman ”Ahnung und Gegenwart”, der seit 1811 entstand und 1815 erschien, die Psychologie auch der Blankensteiner Gartenanlage und das Landschaftsgefühl ihrer Entstehungszeit zu vermitteln:

”Der Garten selbst stand auf einer Reihe von Hügeln wie eine frische Blumenkrone über der grünen Gegend. Von jedem Punkte desselben hatte man die erheiternde Aussicht in das Land, das wie in einem Panorama ringsherum ausgebreitet lag. Nirgends bemerkte man weder eine französische und englische durchgreifende Regel, aber das Ganze war ungemein erquicklich, als hätte die Natur aus fröhlichem Übermute sich selber auf-schmücken wollen.”

”Friedrich und Leontin wohnten eigentlich den ganzen Vormittag draußen in dem schönen Garten. Auf Friedrich (der ja die Hauptgestalt des Romans ist, d. Verf.) hatte das stille Leben den wohltätigsten Einfluß. Seine Seele befand sich in einer kräftigen Ruhe, in welcher allein sie imstande ist, gleich dem unbewegten Spiegel eines Sees, den Himmel in sich aufzunehmen. Das Rauschen des Waldes, der Vogelsang rings um ihn her, diese seit seiner Kindheit entbehrte grüne Abgeschiedenheit, alles rief in seiner Brust jenes ewige Gefühl wieder hervor, das uns wie in den Mittelpunkt alles Lebens versenkt, wo alle die Farbenstrahlen, gleich Radien, ausgehn und sich an der wechselnden Oberfläche zu dem schmerzlich-schönen Spiel der Erscheinung gestalten. Alles Durchlebte und Vergangene geht noch einmal ernster und würdiger an uns vorüber, eine überschwengliche Zukunft legt sich, wie ein Morgenrot, blühend über die Bilder, und so entsteht aus Ahnung und Erinnerung eine

neue Welt in uns...”

”Wie wahr ist es..., daß jede Gegend schon von Natur ihre eigentümliche Schönheit, ihre eigene Idee hat, die sich mit ihren Bächen, Bäumen und Bergen, wie mit abgebrochenen Worten, auszusprechen sucht. Wen diese einzelnen Laute rühren, der setzt mit wenigen Mitteln die ganze Rede zusammen. Und darin besteht doch eigentlich die ganze Kunst und Lust, daß wir uns mit dem Garten gut verstehen.”

So bewegte sich also der unternehmende Bürger Carl Friedrich Gethmann bei der Gestaltung seines Gartens im gleichen Kreis der Ansichten und Empfindungen mit Literaten seiner Zeit. Charlotte in Goethes Wahlverwandtschaften:

”Niemand fühlt sich (heute) in einem Garten behaglich, der nicht einem freien Lande ähnlich sieht; an Kunst, an Zwang soll nichts erinnern, wir wollen völlig frei und unbedingt Atem schöpfen. Haben Sie wohl einen Begriff, mein Freund, daß man aus diesem in einen anderen, den vorigen Zustand zurückkehren könne?”

Der Gehilfe darauf:

”Warum nicht?...Jeder Zustand hat seine Beschwerlichkeit, der beschränkte sowohl als der losgebundene.” (Es möchte wohl sein, daß Charlottens Sohn wieder die Lindenalleen seines Großvaters bevorzuge.)

Was der Gehilfe dort voraussagt, daß man auch die Begrenzungen und Regelhaftigkeiten des älteren Stiles wieder schätzen werde, das wächst hier in organischem Ausbau aus dem natürlich-freien reinen Landschaftsgarten der Anlagen am Ruhrhang, denen wir uns am Ende zuwenden, über die gemäßigte Kunst der Alleeachse, zu der wir diese Überlegungen anstellen, weiter bis zu dem planmäßigen Terrassengarten, den wir eben betrachtet haben.

Der Aussichtspunkt am östlichen Ende der Allee, den C. F. Gethmann nach seinem ältesten, früh verstorbenen Sohn Friedrichsberg nannte, entspricht in einer wesentlichen Einzelheit seiner Anlage sehr genau dem ”Pharus” in Jean Pauls Roman ”Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch”, der 1800 erschien. Dort ist die Rede von der ”außen verlaufenden Wendeltreppe des Pharus”, des Aussichtsturmes;beim Friedrichsberg fällt die Verbindung eines Wendelweges mit einer in der Achse der Allee gelegenen Steintreppe auf. Einen im übrigen vergleichbaren schneckengangähnlichen Weg gab es bei einem Hügel im Park der Villa Medici in Rom,und Eichendorff spricht in ”Ahnung und Gegenwart” von einem Pfad, der sich um einen Berg herum hinaufwindet zu einem Belustigungsort auf der Höhe. Heute geht der Blick vom Friedrichsberg hinab zur Ruhr. Er folgt dem zum Teil felsigen Hang mit seinen wechselnden Neigungswinkeln und kleinen Terrassen und wird von der Fläche eines ruhigen Nebengewässers aufgefangen und festgehalten. Als der Park entstand, befanden sich dort in der Tiefe mehrere Hammerwerke, und es drängt sich nun durchaus die Erinnerung an eine ähnliche Verbindung von Landschaftsgärtnerei und menschlicher Arbeitsstätte in Goethes Wahlverwandtschaften auf, wo das Tal bei einer Mühle, dem ”schwarze(n) wunderliche(n) Holzgebäude im Grunde . . . ‚ von steilen Felsen sowie von hohen Bäumen umschattet”,durch den Stau eines Bachlaufs zu einem Teich bereichert werden soll.

 

Um 1840 ging der Blick von der Friedrichshöhe offenbar über niedrigere Bäume hinweg nach Norden und Nordwesten zu den Höhen jenseits der Ruhr. Dem Ausblick nach Osten und Südosten war vor allem der Platz ”an den drei steinernen Tischen” zugeordnet, der sich östlich etwas unterhalb des Friedrichsberges befindet und dem wir uns am Ende zuwenden sollten.

In Eichendorffs Roman ”Ahnung und Gegenwart” treten die Elemente des Landschaftserlebnisses wiederholt hervor, das der Besucher des Friedrichsberges gewinnen konnte: ”Das Wasser rauschte unten über ein Wehr.” ”Von der einen Seite kam der einförmige Schlag von Eisenhämmern aus der Ferne herüber.””Man sah von dort weit in das Gebirge. Ein Strom ging in der Tiefe.”

Und oft ist da der runde Tisch ein Treffpunkt von Freunden zu Gespräch und Umtrunk im Angesicht der Landschaft,so wie auf der Höhe des Friedrichsbergs ein runder steinerner Tisch zu ruhigem Verweilen einlädt, der in der Mitte von einem Baum durchwachsen ist.

 

Der Ausblick von dem westlichen Aussichtspunkt, nach Gethmanns zweitem Sohn Wilhelmshöhe benannt, wurde in der frühen Beschreibung des Landschaftsparks sehr genau und etwas buchhalterisch angesprochen.

 

”Von dieser Höhe sieht man wiederum einen Teil Blankensteins und besonders die Anlagen selbst auf einem Berge liegen, welcher sich in der Mitte des dort oben nach allen Seiten hin sichtbar gewordenen Tales erhebt. Nach Süden, Osten und Norden ist die Aussicht dieselbe, wie von den drei steinernen Tischen aus.”

Der Park kann also damals nicht annähernd so hoch bewaldet gewesen sein wie heute. Schon 1930 hat der angesehene und einflußreiche Leiter der Gartenbau-Hochschule in Hannover, H. Fr. Wiepking-Jürgensmann, die ”Freilegung der Weitsichten” von den Aussichtshügeln gewünscht, ”ohne die der Garten nicht zu denken ist”.Für die Wilhelmshöhe ist dieser Forderung inzwischen entsprochen worden; jedoch erscheint der Ausblick jetzt wieder zugewachsen. Die Funktion der Wilhelmshöhe zur Zeit Carl Friedrich Gethmanns verdeutlicht die erwähnte Beschreibung von 1837:

”Aber nach Westen hin sieht man das krause Bäumchen bei Essen, dessen Sage Krummacher so lieblich bearbeitet hat (Parabeln 3. Bändchen 5. 148 sq.); ferner die Ruine Altendorf, die Dörfer Linden und Niederwenigern, die Ruine Kliff bei Hattingen, den Isenberg und das Städtchen Hattingen.” Carl Gethmann ergänzt: ”.... die lange Hattinger Ruhrbrücke, die Henrichshütte mit ihren Essen sowie abermals den Ruhrstrom”.

 

Hinter dieser Aussichtskanzel, von der aus der ganze ”Garten auf dem Berge” selbst Gegenstand der Betrachtung wurde, lag ein Gemüsegarten, von dem aus man zu einem Platz mit Rhododendron und Tannen gelangte. Dieser ist der Ausgangspunkt eines wiederum 500 Fuß langen Weges, der nach der Beschreibung Carl Gethmanns ursprünglich eine Tannenallee darstellte und in einen tannenumstandenen Sitzplatz einmündete, der – ein sehr direkt gesuchter Effekt – durch ein freigeschnittenes Oval in der Baumwand eine ”Aussicht nach Osten auf die Ruhr, auf Herbede, Witten und bis vor Hörde als kleineres Bild in grünem Rahmen präsentiert(e)”. Heute ist der Charakter der Allee nur noch in der gradlinigen Wegeführung bewahrt; die einheitliche Bepflanzung ist aufgegeben und der Sitzplatz ist nicht mehr eingegrenzt. Westlich etwa parallel zur Allee verlief (1837 genannt) ein gewölbter Buchengang.

Besonders wichtig sollte für Carl Friedrich Gethmann der Punkt werden, zu dem man nun hinabgelangt: das wie eine Turmbasis auf den Ruhrhang gesetzte, über eine kleine Brücke zugängliche Belvedere.

 

Am 19. Oktober 1833 besuchte der damalige preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere König Friedrich Wilhelm IV., den Gethmannschen Garten bei seiner Rundreise durch die Provinzen Westfalen und Rheinland. Dafür hatte der Besitzer schon außerordentliche Vorbereitungen getroffen, als ihn ein Brief des Oberpräsidenten Ludwig Vincke davon in Kenntnis setzte, daß der Besuch unterbleiben müsse, weil die Ruhr eine Fahrt zu Schiff, wie doch angenommen werden muß, nicht zulasse. Vielleicht lasse sich am vorgesehenen Tage aber noch eine Fahrt des Prinzen ”nach und auf der Prinz-Wilhelm-Bahn, dann auf der Ruhr bis Werden und wieder nach Elberfeld” durchführen.Am 12. Oktober schrieb C. F. Gethmann dann in einer Bergbauangelegenheit an den Oberpräsidenten und ging dabei auch auf die Vorbereitungen ein, die er für den Besuch des Kronprinzen getroffen habe. Es dürfte für die Einschätzung dessen, was dann doch noch verwirklicht werden konnte, für die Erkenntnis der Vorstellung, die der Schöpfer des Gartens von dessen Beziehung zur umgebenden Landschaft hatte, und zur Charakterisierung der engen Verbindung, die ästhetischer Gestal-tungswille und die Vertretung von Interessen – nicht nur von eigenen – bei ihm eingingen, wichtig sein, ihn hier unmittelbar zu Wort kommen zu lassen. (Wir müssen es ja bedauern, daß wir zur Konzeption des Gartens selbst keine Äußerungen von ihm haben.) Die ungünstige Nachricht ”hat Viele – besonders aber mich – ungemein betrübet. Nun bleibt mir nichts anders übrig als die Rückerinnerung an das Bild eines Festes, wozu ich alle Dispositionen getroffen, und was in der Art wie hier wohl schwerlich irgendanders in Westphalen als auf und von unserm Berge aus dürfte gebothen werden können. Aber ob ich hier auch zu viel sage? Doch das mögen E(ure) H(ochwohlgeboren) beurtheilen, wenn ich bey nächster Zusammenkunft die Freiheit nehme, ders(elben) darüber ausführliche Mittheilung zu machen. Wenn ich zuvor E. H. Erlaubniß erhalten hätte, dann würde ich bei dieser Gelegenheit so dreiste gewesen seyn, Sr. Königl. H(oheit) in aller Unterthänigkeit drey Bitten vorzu-tragen.

Der Gegenstand der zwey ersten und hauptsächlichsten – das allgemeine Beste betreffend – wäre die Verbindungsstraße von Hattingen über hier nach Krengeldanz, dann die Anlage der Eisenbahn von Kemnade nach Elberfeld gewesen, und die dritte hätte mich privatim betroffen.

Auf dem großen, nach Westen hin von hohen Felsen umgebenen Platze in meinen Gartenanlagen wollte ich nämlich den Wunsch geäußert haben: von der Huld Sr. Königl. Hoheit das Brustbild unseres vielgeliebten Königs aus Eisenguß geschenkt zu erhalten, um diesen Platz, wie es von jeher mein Vornehmen gewesen ist, damit zu zieren. Hierdurch wäre das Andenken an die das märkische Ruhrtal und seine Bewohner, besonders aber mich beglückende Anwesenheit Sr. K(önigli-chen) H(oheit) verewiget worden.”

Am 13. Oktober erhielt Carl Friedrich Gethmann dann von dem Bochumer Landrat Graf von der Recke-Volmerstein die Mitteilung, er habe den Prinzen darauf aufmerksam gemacht, ”wie die Städte Blankenstein und Hattingen durch die stattgehabte Veränderung der früheren Reiseroute in Trauer versetzt seien”, und der Prinz wolle nun am 19. des Monats von Elberfeld aus beide Städte besuchen.

 

So konnte Gethmann den romantischen Kronprinzen auf das Belvedere über der Ruhr führen, und er ließ zu seinen Füßen – in einer gewissen Fortentwicklung von Schäferspiel und Bergparade, von Spiel und Parade überhaupt – Bergknappen und Bauern im Tal sich präsentieren, die Hammerwerke pochen und lärmen und die Wagen der neueingerichteten Bergwerkseisenbahn der Zeche Carl Friedrich nördlich der Ruhr in bewußter In-szenierung und unter Verwendung der preußischen Nationalfarben hervorkommen und sich dem Verladeplatz am Ufer nähern.

So vermittelte der romantische Pragmatiker über das Bild einer von gewerblichen Szenen gefüllten romantischen Landschaft das Wesen des Landes, und er unterstrich dabei die Beziehung des Gewerbes und auch seiner neuesten technischen Mittel auf den Fluß. Damals war eine lebhafte Diskussion über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit der geplanten Lokomotiveneisenbahn von Köln nach Minden in Gang gekommen. Friedrich Harkort trat für ihren Bau ein, Vincke dagegen trug als Gegenargument die Gefährdung der Ruhrschiffahrt vor -und dies war gewiß auch der Gesichtspunkt, unter dem der Ruhrreeder und Kohlenfernhändler Gethmann die Sache sah. Wichtig mußte es für ihn sein, das neue Instrument auf die Ruhr zu beziehen. Dies geschieht bei der Präsentation des Flußtales vor dem Kronprinzen, der am gleichen Tage noch eine kurze Eisenbahnfahrt auf der Prinz Wilhelm-Bahn machen sollte, die Langenberg mit der Ruhr bei Steele verband und die dessen Bruder, den Prinzen Wilhelm, schon im Jahre 1831 fasziniert hatte. Auf diese Situation war die Absicht Gethmanns genau abgestimmt, den Wunsch nach einer Eisenbahn zwischen Kemnade an der Ruhr und Elberfeld vorzutragen.

Erst jetzt, auf dem Rückweg vom Belvedere zu dein alten öffentlichen Eingang des Gartens, bewegen wir uns im ältesten Teil des Parks, im eigentlichen Landschaftsgarten des reinen Typs.

Daß er zunächst kaum mit dem Begriff Garten bezeichnet werden kann, wird von dem modernen Betrachter vielleicht auf einen Mangel an Gestaltungskraft zurückgeführt werden. Eben durch die Überwindung dieses Irrtums vermag man das Wesen eines Landschaftsgartens des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts wahrzunehmen. Dazu sei eine Stelle aus Adalbert Stifters Skizze ”Von meinem Haus” (aus der Mappe meines Urgroßvaters 2,1) herangezogen: Der Fürst sagt von seinem Landschaftsgarten:

”Es ist wie mit einem Kunstwerke, von dem die Menschen sagen, es sei gar kein Kunstwerk, sondern nur natürlich... Die dem Garten großen Beifall geben... sagen, es sei kein Garten. Nun, das ist ein Namen, und sie mögen das Ding anders nennen.”

”Mehrere meinen..., es sei nicht viel geschehen, andere sagen, es sei sehr viel umgeändert worden; aber es sei alles gar nicht anders als natürlich, und wie es immer..., gewesen ist.”

Die Theorie dieses Gestaltens hatte in Deutschland Christian C. L. Hirschfeld im Jahre 1779 geliefert:

”Bewege durch den Garten die Einbildungskraft und die Empfindung, stärker als eine bloß natürlich schöne Gegend bewegen kann.” Friedrich Schiller hat 1794/95 die außergewöhnliche Wirkung der Schriften Hirschfelds zugleich bezeugt und bedauert.Aber noch der Goethe der Wahlverwandtschaften steht ganz unter dem Einfluß Hirschfelds – wie dies mittelbar (oder unmittelbar, das zu entscheiden, fehlt es an Quellen) auch für Carl Friedrich Gethmann gilt.

Die Suche nach Ansatzpunkten für die Bewegung von Einbildungskraft und Empfindung konnte mit größerer oder geringerer Einsicht geschehen. Goethe hebt in den Wahlverwandschaften die besondere Umsicht eines reisenden Lords hervor:

”Schon im voraus erkannte er, was die neu heranstrebenden Pflanzungen versprachen. Keine Stelle blieb ihm unbemerkt, wo noch irgendeine Schönheit hervorzuheben oder anzubringen war. Hier deutete er auf eine Quelle, welche, gereinigt, die Zierde einer ganzen Buschpartie zu werden versprach; hier auf eine Höhle, die, ausgeräumt oder erweitert, einen erwünschten Ruheplatz zu geben versprach, indessen man nur wenige Bäume zu fällen brauchte, um von ihr aus herrliche Felsenmassen aufgetürmt zu erblicken.”

Voraussetzung für alles war die Anlage von Wegen. So erzählt Goethe: ”Der Hauptmann gefiel sich sehr in der Gegend und bemerkte jede Schönheit, welche durch die neuen Wege erst sichtbar und genießbar geworden”. Die Wege sollen hinlänglich breit sein: Man müsse schreiten können ”mit einer gewissen Freiheit”. Der Takt des Schrittes solle nicht ‚jeden Augenblick unterbrochen” werden.Die Wege sind als ein sehr spezifisches Element des Eingriffs in die Landschaft auch bei Friedrich Ludwig von Sckell (1818) angesprochen:

 

”Die Natur macht keine Wege, es ist das Werk des Menschen und der Tiere”.

 

Der Weg, den man nun im Gethmannschen Garten nimmt, führt zunächst an der Abzweigung eines Pfades zur Ruhr vorbei. In mäßigen Senkungen und Steigungen und streckenweise auch fast eben folgt er den Vor- und Rücksprüngen des an einigen Stellen felsigen Abhangs. Die kleinen Stützmauern, die ihn hier und da an der Talseite einfaßten, sind leider verschwunden: Eine ältere Fotografie zeigt sie als zugleich unauffällige und wesentliche Mittel der Gestaltung. Verschwunden sind auch drei Episoden, Schöpfungen im Park, die selbst losgelöst von ihm hätten Wert und Bestand haben können. Da war zunächst oberhalb des Weges eine Eremitage, ein kleines korkverkleidetes Haus, dessen Aussehen nur noch durch eine unzulängliche Fotografie und durch ein Aquarell im Besitz von Frau Gertrud Gethmann bezeugt wird und das schon in der Beschreibung um 1855 genannt wird, ebenso wie ein Tempelchen. Der Königsplatz, eine größere ebene Fläche, die bei der Gewinnung des Sandsteinmaterials für die katholische Kirche in Blankenstein (1791 ff.) entstanden war,nahm 1834 die von C. F. Gethmann erbetene und von dem Kronprinzen geschenkte Büste des Königs Friedrich Wilhelm III. auf, deren hofmarschallamtliches Begleitschreiben der Beschenkte mit einem gewissen Stolz dem Landrat von der Recke-Vollmerstein zur Kenntnisnahme zuschickte.

Für die Geschichte der politischen Mentalität dürften die Äußerungen Gethmanns über den Sinn dieser Anlage von Interesse sein: In keimhafter Weise enthalten sie Elemente der Psychologie späterer nationaler Denkmäler. Sie wurden an Ludwig Vincke gerichtet, als Gethmann die Hoffnung zunächst aufgegeben hatte, den Kronprinzen in Blankenstein zu sehen: er habe gewünscht, es würde”...die (ihn) und (seine) Nachkommen und alle Besucher dieses Gartens beglückende Anwesenheit Sr. Königlichen Hoheit zur Festhaltung und Erhöhung des Gedankens beygetragen haben, daß so wie hier die Büste des Königs von tausendjährigen Felsen gegen alle Stürme aus Westen geschützt stehn, eine unbegränzte Liebe und unerschütterliche Treue der westpreußischen, besonders aber märkischen Unterthanen felsengleich des Königs Person und das ganze königliche Haus bey allen Stürmen aus Westen umgeben und immerfort als Schutz und Wehr mit Gut und Blut dastehen werde”.

 

Im Winter 1918/19 wurde die Büste, nach mündlicher Überlieferung von Wuppertaler Spartakisten, den Ruhrhang hinuntergeworfen. Heute wird sie im Hause Gethmann aufbewahrt.

Die Anlage des Königsplatzes, die nur noch durch Postkarten belegt ist, entfernte sich von der Auffassung, die die Gartenkunst der Romantik und auch der Goethezeit geprägt hatte.

Man würde das um so lebhafter empfinden, wenn neben diesem Platz auch die nächste Episode, die Grotte, in ihrer ursprünglichen Gestaltung erhalten wäre.

Das ist eine Felsnische, in deren Mitte ein Felsblock, umstellt mit Steinen wie mit Sitzen, den Eindruck einer ganz natürlichen Bildung erweckt. Gerade um Überlassung auch dieser Stelle hatte C. F. Gethmann 1806 den Magistrat von Blankenstein gebeten und dabei auf die im Jahre 1800 abgebrochenen Felsblöcke hingewiesen. Er folgte also den Grundsätzen der Gestaltung eines Landschaftsgartens, die wir in der Literatur fanden, aus eigener Empfindung und in der Mentalität der Epoche, ordnete um den Hauptblock die umgebenden Steine und ließ alles von einer Laubgrotte um- und überwachsen.Über Stufen aufsteigend, verläßt der Weg nun den Ruhrhang, und am ”Platz mit den drei steinernen Tischen” (wo sich heute nur noch ein Tisch befindet) wird der Blick nach Osten frei. In den alten Beschreibungen des Parkes, denen wir auch die Überlieferung dieses alten Namens ver-danken, wird deutlich, daß dieser Platz ganz auf Aussicht hin angelegt war. Auf diese Aussicht hatte Carl Friedrich Gethmann sich bei seiner Bitte um Überlassung von Kämmereigrund zur Ausdehnung seines Gartens vor allem bezogen.

Die Beschreibung mit den Ergänzungen Carl Gethmanns:

Da ”ladet uns ein trauliches, von rothblühenden Kastanien (früher Tannen) beschattetes Plätzchen... zum Sitzen ein und bietet uns den wunderbar überraschenden Anblick des Thals und der dasselbe einschließenden Berge. Auf der rechten Seite nach Südost hin erblicken wir die Ruine von Blankenstein... und unten im Thale das anmutig gelegene Haus Kemnade. Im Osten begegnen unserm Auge Herbede, Witten und andere freundliche Ortschaften sowie himmelanstrebende Schornsteine der Bergwerks- und Hütten-Industrie bis nach Hörde bei Dortmund hin; im Norden ruht gern unser Blick auf der sehr reizend, in der Mitte einer sanft ansteigenden langen – durch einzelne Gehöfte, das eigentliche Dorf Stiepel, Kornfelder und kleine Waldgalerien belebten -Gebirgswand gelegenen Stiepeler Kirche. Das Thal übersieht man hier in mehr denn einer Stunde Länge und in der Breite einer halben Stunde... Die Ruhr, welche sich wie ein Silberband der Länge des Thales nach links an den Bergen hinschlängelt, ist wegen der Krümmungen, welche sie macht, an drei verschiedenen Stellen auf eine ziemliche Strecke sichtbar und gibt der Landschaft einen unvergleichlichen Reiz. Wo sonst wird uns mehr das Wort von Novalis klar? ‚Die Flüsse sind die Augen der Landschaft.‘ ”

Im Mittelpunkt des Bildes die zur Entstehungszeit des Gartens noch wüste Ruine Blankenstein. Hier war also vorgegeben, was sonst nicht selten als künstliche Ruinenanlage für einen Garten geschaffen wurde, so etwa durch von Sckell in Schwetzingen. Von Sckell hat dazu 1818 eigene Grundsätze vorgetragen. Die Landschaftskunst der ”Wahlverwandschaften” bezieht eine Kirche und besonders ihre Seitenkapelle in ihre Pläne ein; sie will ”ein Denkmal voriger Zeiten und ihres Geschmackes wiederher(.)stellen”.Der Erwartung, er werde Mittel für die Erneuerung der Burg Blankenstein zur Verfügung stellen, hat sich der nüchterne C. F. Gethmann 1834 allerdings entzogen. Wohl hatte er es als seine öffentliche Pflicht betrachtet, die Voraus-setzungen für die Errichtung einer katholischen Kirche in Blankenstein zu schaffen.Es soll in dieser Perihegese nicht versucht werden, C. F. Gethmann sozialgeschichtlich einzuordnen. Doch sei darauf hingewiesen, daß bei ihm auf den ersten Blick trotz unterschiedlicher Konfession in vielen Elementen eine Übereinstimmung mit dem Typus des Barmer Honoratioren auffällt, den Wolfgang Köllmann gezeichnet hat:unter anderem der Einsatz in Belangen der Kirchengemeinde und in napoleonischer Zeit die Ernennung in ein kommunales Amt, hier des Maires.

Beim Eingang des Landschaftsgartens befand sich ein Spendenstock. Carl Friedrich Gethmann hat seinen Park vielleicht von Anfang an, spätestens aber 1834 allen geöffnet. Die Spenden der Besucher sollten den Armen der katholischen und der evangelischen Gemeinde in Blankenstein ohne Unterschied zukommen.Damit bewies Gethmann einen klaren Sinn für das Selbstverständnis des ansässigen Stadtbürgers, aber auch der Besucher aus dem märkischen und bergischen Umkreis. Dem entsprach es, daß er 1834 schreiben konnte, daß seine Mitbürger und daß Naturfreunde, so sein Wort, ”zu Tausenden das Jahr hindurch sich hier einfinden”

Die Art der Rezeption des Gartens durch diese seine Gäste erhellt nur für einen Fall ein Brief des Langenbergers A. Köttgen sen. an C. F. Gethmann vom Juni 1834:

”Als ich das letzte Mal mit einer heitern Gesellschaft in Ihrem schönen Park war, und wir uns alle so recht innig dort freuten, da fehlte es augenblicklich an passendem Gesange; durch die Neckerei der Freunde wurde ich veranlaßt zu dem Versprechen; ein besonderes Liedchen für Ihren wirklich wunderschönen Garten liefern zu wollen.”

Das Lied ist überliefert. Hielte man es mit seiner evangelisch-erweckten Prägung neben die Verarbeitung des Gartengedankens bei Goethe, bei Eichendorff oder Stifter, so offenbarte es die Empfindungsbreite bei den Gartenfreunden des Jahrhunderts.

Die Qualität der Anlage und ihre Offenheit für alle Gäste erklären ihre langdauernde Wirkung, die sich ausspricht in zahlreichen Erwähnungen in der landeskundlichen und in der Reiseliteratur, nicht nur in Levin Schückings und Ferdinand Freiligraths ”Malerischem und romantischem Westfalen”. Insgesamt lassen sich 16 Titel nachweisen, die sich in irgendeiner Form mit der Gesamtanlage beschäftigen, wenn man eine Würdigung des Gethmannschen Hauses als eines musterhaften westfälischen Bürgerhauses des Klassizismus hinzunimmt.

Es konnte wohl gezeigt werden, daß Carl Friedrich Gethmann bei der Gestaltung seines Landschaftsgartens, seines Terrassengartens und seines Hauses zeittypische Bestrebungen aus eigenem Empfinden mittrug und mitverwirklichte, so daß ein Werk entstand, das in eindringlicher Weise Allgemeineres repräsentiert. Zu dem ganz Spezifischen seiner Leistung ist noch etwas nachzutragen; Gustav Vorherr (1778—1847) hatte in seiner ”Lehre von der Landesverschönerung” zur ”Gesundung des gesamtgefüges Landschaft” (Herbert Keller)die For-

derung aufgestellt, Garten- und Landschaftsanlage sei mit der Formung des Dorfes, des Lebens- und Schaffensraumes der Menschen zu verbinden.Etwas Ähnliches scheint Goethe in den ”Wahlverwandtschaften” vorgeschwebt zu haben, wo das Dorf und seine Bewohner aber doch wie Hintergrund und Staffage für das Leben der Schloßbewohner wirken. Bei dem ruhrländischen Bürger C. F. Gethmann wurde in dieses Ideal – mochte er Vorherrs Gedanken kennen oder nicht – die gewerblich, bergbaulich und verkehrstechnisch geprägte Umwelt der Menschen einbezogen: Die Aussichten auf die Henrichshütte, auf die Hörder Hüttenwerke, auf die Ruhrschleuse und auf die Kohlenmagazine am Ufer und die Wahrnehmung der Stahlhämmer wurden durchaus als Elemente des Reichtums und der Schönheit der Landschaft, als ästhetischer Vorzug empfunden und bejaht, wie die Gartenbeschreibungen zeigen – neben Berg und Tal, Feldern, Wäldern und Flußlauf. Wie sehr der Schöpfer der Anlage in dieser Empfindung lebte, bewies er mit der Inszenierung des Wesens der Ruhrlandschaft vor dem romantischen Kronprinzen 1833 und mit seinem Kommentar: daß ”das Bild (des) Festes, wozu (er ) alle Dispositionen getroffen,... in der Art wie hier wohl schwerlich irgendanders in Westphalen als auf und von unserm Berge aus dürfte gebothen werden können”. C. F. Gethmann gestaltete die Landschaft als Unternehmender zwischen und vor den Mitbürgern, den Bergleuten und Bauern des Landes, aus dem er seine Ressourcen gewann und dem er sie wieder zuführte, nicht ohne Selbstbewußtsein und nicht, ohne ein bestimmtes Sondermaß des Erreichten sich selbst zu eigenem Nutzen und eigener Darstellung zuzuweisen, aber doch gewissermaßen in offenen Grenzen des Nehmens und Gebens. Die Öffnung des Gartens zielte gewiß auf Integration verschiedener gesellschaftlicher Komponenten, sicher nicht nur auf die der katholischen und evangelischen Mitbürger. Als einen Faktor der sozialen Integration und des kulturellen Ausgleichs hat denn auch später, 1886, der Bochumer Oberbürgermeister Lange den Bochumer Stadtpark, als den ersten des Industriegebietes überhaupt,angesehen.

Die Perihegese endet am Eingang des Landschaftsgartens, dort, wo dieser an den älteren Hausgarten Gethmanns bei seinem ersten Anwesen, dem heutigen Haus Irrgarten, angeschlossen wurde.

Im Jahre 1928 ging der Landschaftsgarten, der bis dahin von Nachkommen Carl Friedrich Gethmanns unterhalten wurde, in den Besitz des Amtes Blankenstein über; heute gehört er der Stadt Hattingen. Sie hat in den letzten Jahren für die Konservierung der Aussichtspunkte und für die Erneuerung der Treppen gesorgt und sie hat den Park durch die Einrichtung einer Spielanlage und durch die Aufstellung von Tischtennisplatten neuen Nutzungsformen erschlossen.

 

Um die ursprünglichen Erlebnismöglichkeiten wiederherzustellen, bedürfte es der Freilegung der Aussichten; um den Charakter der außergewöhnlichen alten Anlage ganz wiederzugewinnen, müßte man sich an der alten Beschreibung und an den noch vorhandenen Abbildungen orientieren.

 

Die breite Öffentlichkeit könnte den kostbaren Besitz wiederentdecken, den sie im Gethmannschen Garten hat, und dabei ”die bedauerliche Begriffsverwirrung” aufgeben, in der sie ihn seit langem ”Irrgarten” nennt. Denn: ”Der Landschaftsgarten des frühen 19. Jahrhunderts war das Gegenteil der nach geometrischen Figuren und künstlichen Hecken ausgeklügelten höfischen Irrgärten des 18. Jahrhunderts.”

 

Impressum

1985 Bochumer Heimatbuch

 

Band 8

 

Herausgegeben von der Vereinigung für Heimatkunde Bochum e.V.

 

Verlag:

Schürmann & Klagges

 

Titelbildgestaltung:

„Schorsch-Design®" Georg Wohlrab, Heusnerstraße 17, Bochum

 

Gesamtherstellung:

Druckhaus Schürmann & Klagges,

 

Bochum ISBN-Nr. 3-920612-06-X